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Unpädagogische Nichtversetzung 2: Vorschlag

Mir wurde gesagt, es sei leicht, gegen die Versetzung und vor allem Nichtversetzung zu polemisieren, ohne eine Alternative zu beschreiben. Offenbar fällt es vielen hierzulande schwer, sich eine Schule vorzustellen, die ohne dieses Instrument auskommt. Daher will ich nun ein paar ergänzende Gedanken zu diesem Thema äußern.

Man kann in Deutschland nicht einfach etwas abschaffen, man kann es nur behutsam ändern, sonst ist die Erregung zu groß. Daher schlage ich vor, die Versetzungsordnung von Baden-Württemberg zunächst nur ein wenig zu ändern. Dabei bleibe ich der Einfachheit halber beim Gymnasium. Es gibt eine Regelung, die man Versetzung auf Probe nennt. Sie gewährt einen Aufschub, eine „Gnadenfrist“, von etwa einem Vierteljahr. Etwa Mitte Oktober, also rund vier Wochen nach dem Beginn des neuen Schuljahrs wird jemand, der nach seinen Noten vom Juli eigentlich nicht versetzt werden konnte, noch einmal schriftlich und mündlich geprüft. Er muss nach der Probezeit zeigen, dass er in den Fächern, die mit einer nicht ausreichenden Leistung abgeschlossen wurden, sowohl die wesentlichen Kompetenzen des vorausgegangen Schuljahrs erworben als auch den neuen „Stoff“ insoweit verstanden hat. Diese Prüfung wird benotet. Die neue Note, die „Oktober-Note“ ersetzt die vom Juli. Die Versetzungsentscheidung wird dann auf dieser Grundlage neu getroffen. Wer es nun geschafft hat, darf in seiner Klasse bleiben, ist also doch noch versetzt worden.

Mein Vorschlag: diese Regelung, die bisher eine eher seltene Ausnahme darstellt, zum Normalfall erheben. Will die Klassenkonferenz davon abweichen, muss sie das einstimmig wollen und begründen.

Bei der Versetzung auf Probe ist nach der geltenden Regelung eine Zielvereinbarung mit dem Schüler zu treffen. Das ist eine Art Programm zum Nachlernen. Ich würde dem auf Probe Versetzten zusätzlich einen Tutor zur Seite stellen, der ihn laufend berät.

Und wer tatsächlich ein ganzes Schuljahr wiederholen soll, mit dem wird ebenfalls eine Zielvereinbarung getroffen, auch er bekommt eine ständige beratende Begleitung. So könnte der Erfolg der Wiederholung steigen. Und nur so sehe ich einen Sinn im Wiederholen eines ganzen Schuljahrs.

Da jede vermiedene Wiederholung des Schuljahrs dem Staat Geld spart, könnte ein Teil davon dazu verwendet werden, die Tutoren zu honorieren.

4 Antworten auf „Unpädagogische Nichtversetzung 2: Vorschlag“

Die Idee mit dem Tutor scheint mir zentral! – Das fehlende Notenzehntel, aufgrund der ein Schüler nicht versetzt wird, ist nur ein Symptom der in unserem System insgesamt mangelnden persönlichen Beziehungen. Hinter der Entstehung von Einzelnoten stehen doch bereits jede Menge Entscheidungen, die von der Lehrkraft teils bewusst, teils unbewusst getroffen werden.
Im ungünstigen Fall (durch Entscheidung über die zweite Fremdsprache) muss eine Schülerin von Klasse 5 bis 7 bei dreimaligem Lehrerwechsel insgesamt mehr als 60 Lehrer/innen „durchlaufen“. Von einem langfristigem einander Kennenlernen und von persönlicher Begleitung dabei keine Rede!

Den 6849 Schülerinnen und Schülern, die im Sommer 2008 an baden-württembergischen Gymnasien sitzen geblieben sind, stehen 24.817 Gymnasiallehrerinnen und -lehrer gegenüber. Wenn jede/r nur einen Schüler/eine Schülerin, der/die das braucht, als Mentor/in persönlich betreuen und beraten würde, würde sich meines Erachtens vieles von selbst zum Besseren entwickeln. Kein Lehrer kann sich für alle seine Schüler gleichermaßen besonders kümmern, aber jeder um einen (auch zwei oder drei). Wenn hier Verantwortlichkeiten klarer definiert würden, hätten auch die Lehrerkollegen viel mehr Chancen zu Erfolgserlebnissen und würden sich in dem Gesamtsystem Schule weniger hilflos fühlen!

Die Prüfung vier Wochen nach Schuljahrsbeginn wird manchen Schülern nicht helfen, die persönlich in einem Dilemma stecken und in den Ferien nicht in der Lage waren, selbstständig aufzuarbeiten. Man sollte zusätzlich zu der vorgeschlagenen Lösung in der zweiten Hälfte der Ferien Nachhilfekurse (durch Oberstufenschüler?) in der Schule anbieten.

Lehrende sollten sich immer wieder klar machen, dass sie nicht (nur) “Stoffvermittler” sind, dass sie es nicht nur mit Klassen zu tun haben, sondern mit einzelnen Schülerinnen und Schülern, von denen jede und jeder seine persönliche Lerngeschichte und sein individuelles Lernverhalten hat. Das zum Thema “Differenzierung”.
Was die Probezeit angeht, so könnte man auch darüber nachdenken, sie der Zeit anzupassen, die in der Versetzungsordnung bei einer Aussetzung der Versetzungsentscheidung (z.B. wegen längerer Krankheit) gilt. Bis spätestens zum Ende des darauffolgenden Halbjahrs ist diese Entscheidung nachzuholen. In dieser Zeit ist der Schüler in der Klasse, in die er (noch) nicht versetzt wurde. Da geht es also offenbar auch, länger zu warten und einen Nichtversetzten “auszuhalten”.

Bravo, das ist der erste direkte Verbesserungsvorschlag, den ich zu diesem Thema (und überhaupt in diesem Blog) lese, und ich kann nur sagen: weiter so. Dass jemand realistische und überlegte Verbesserungsvorschläge macht, ist so selten geworden, dass man seinen Augen kaum trauen möchte.

Lob für Konstruktives tut zwar gut, aber Häckerling legt dennoch Wert auf die Feststellung, dass er seine Aufgabe vor allem und zunächst darin sieht, den Blick auf leeres Stroh zu richten. Und die Versetzungsordnung birgt davon so manches.
Allerdings ist Boris darin Recht zu geben, dass Kritik eine Folie braucht, an der sie sich orientiert, eine Alternative, eine Vision, wie es anders sein könnte. Wenn dieses Gegenbild deutlich würde, wäre der Blog-Schreiber nicht unglücklich.

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