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Ungebildete Wahlkämpfer 1 oder Ein Plakat ohne Sinn

Noch ein paar Wochen verbleiben den Wahlkämpfern, uns für die Stimmabgabe bei der Bundestagswahl zu motivieren. Das tun sie derzeit gerne mit großen Plakaten an Straßenkreuzungen. Die Christdemokraten erheben Anspruch darauf, viel Kraft zu haben; die Sozialdemokraten attackieren die Leute mit viel Geld.

Ein Plakat der SPD regt mich zum Nachdenken an. Darauf sehe ich eine ansehnliche junge Frau. Sie lächelt. Aber was ist ihre Botschaft? Es dürfe, will sie mir sagen, die Bildung nicht vom Konto der Eltern abhängen. Ich muss gestehen, dass mir das bisher auch nicht in den Sinn gekommen wäre. Denn Bildung hängt nicht vom Geld ab, sondern vom Willen, sie zu erlangen. Dafür gibt es ein Adjektiv: bildungswillig.

Aber welche Bildung meint die junge Frau oder die SPD? Die Schulbildung vermutlich. Die aber ist nach meiner Kenntnis immer noch kostenlos. Das Schulgeld wurde schon in den 1950er Jahren abgeschafft, die Lernmittelfreiheit nach und nach auch (Korrektur: Es muss “nach und nach eingeführt” heißen, H.). Sächliche Kosten fallen also für Schulkinder kaum an, allenfalls für die Bleistifte, die Tasche, das tägliche Vesper, die Turnschuhe. Aber dafür, unter anderem, hat der Staat das Kindergeld eingeführt. Was soll also dieses Plakat und seine Unterstellung, in die Schule zu gehen, sei teuer und nur Kindern möglich, deren Eltern über ein dickes Konto verfügen?

Aber vielleicht deute ich das Plakat völlig falsch, Vielleicht ist die junge Frau eine Studentin und sie will mich darauf aufmerksam machen, dass sie Studiengebühren  zahlen muss und dass sie das nur kann, weil ihr Vater Geld hat. Oder will sie sagen, ihre Eltern seien arm und sie könne daher nicht studieren? Doch ums Studium geht es ja gar nicht. Es geht um Bildung, sagt das Plakat, und nicht um Ausbildung.

Aber seit wann ist ein Studium die Voraussetzung für Bildung? Die steht jedem offen, der sich um sie bemüht, unabhängig vom Konto der Eltern.

11 Antworten auf „Ungebildete Wahlkämpfer 1 oder Ein Plakat ohne Sinn“

Lieber Roland Häcker,

einen schönen, bezeichnenden Satz habe ich da in Ihrem Text gelesen. Symptomatisch für die Bildungspolitik im Ländle, an der die FDP als Mitglied der Regierung ja beteiligt ist: “Das Schulgeld wurde schon in den 1950er Jahren abgeschafft, die Lernmittelfreiheit nach und nach auch.” Das beschreibt, wahrscheinlich unbeabsichtigt, einen Teilaspekt der Situation sehr treffend.
Freundliche Grüße

Da haben Sie mich in der Tat bei einem geradezu klassischen Verschreiber erwischt. Ich will nichts beschönigen. Aber tatsächlich ist es natürlich so, dass die Lernmittelfreiheit “im Prinzip” umgesetzt wurde – auch dank der tatkräftigen Hilfe klagender Eltern, die sich nicht mit der schulischen Wirklichkeit abfinden wollten. Die bestand (und besteht leider) darin, dass viele Lernmittel “doch bitte” gekauft werden sollen. Ich halte das für rechtswidrig.

Also ich lese das Plakat so: Eine junge hübsche ansprechende Frau lächelt mich an. Sie wirkt entspannt, weil die SPD dafür gesorgt hat, dass sie einen BILDUNGSZUGANG bekommt. Denn diese Partei denkt an die sogenannten “Arbeiterkinder” und daran, dass diese nicht auf der Strecke bleiben sollen.
Das Problem hängt aber doch nicht an der Parteipolitik. Bildungszugänge werden von Bildungsinstitutionen ausgestellt.
Da gibt es Grundschulempfehlungen, die sich zu sehr vom sozialen und beruflichen Status der Eltern beeinflussen lassen. Da gibt es die gymnasiale Tendenz, Schülern, die nicht mitziehen, die Empfehlung nach unten auszusprechen, sprich, in die Realschule zu gehen.
Da gibt Ausbildungsberufe und Lehren, die mittlerweile nur noch Gymnasiasten als Azubis einstellen, weil SChüler der anderen Schularten ihrer Meinung nach die nötigen Voraussetzungen nicht mitbringen.
Und schließlich die Universität, die mit dem Bologna-Prozess zwar straffere Strukturen geschaffen hat, aber den arbeitenden Studierenden noch mehr Flexibilität genommen. Diejenigen Studierenden, die aus Elternhäusern kommen, in denen nicht studiert wurde, sind anders angewiesen auf Orientierung, Beratung, Kommunikationshilfen u.a.

Lange Rede kurzer Sinn: Damit die Frau auf dem Plakat entspannt lächeln kann, dazu bedarf es vieler Institutionen, die bewusst Chancen vergeben und bereit sind, die soziale Herkunft durch Förderung und Beratung zu kompensieren.

Das Studium gehört nach diesem Plakat zur Bildung, bzw. es ist der Kern der Bildung (oder besser gesagt ein Aushängeschild). Ich denke, man muss ich einfach damit anfreunden, dass in Zeiten leerer Kassen nur die Basisversorgung (und ein Gymnasium ist eigentlich schon mehr als dei Basis) vom Staat bezahlt werden kann. Zudem gibt es Stipendien, Bafög oder die Möglichkeit, nebenher zu arbeiten, auch wenn das die Studienleistund in manchen Fällen senkt und die Studiendauer möglicherweise verlängert.
Ich denke, in erster Linie will die SPD sagen, dass es bei ihr alles um Nulltarif gibt. Das bezahlt man dann eben über die Steuergelder auch wieder.

Bee weist auf zwei Probleme hin:
(a) Die Mechanismen der Chancenverteilung, bei denen bestimmte Teile der Bevölkerung (sog. Unterschicht, Migranten, Jungen) zu kurz kommen, und zwar aus Gründen, die weniger mit dem Geld als mit den (oft unbewussten) Fehleinschätzungen der an der Verteilung der Chancen Beteiligten zusammenhängen. Daran könnten (externe) Kontrollen etwas ändern, und zwar sowohl bei den Grundschulgutachten als auch bei der Benotung von Schulleistungen. Auch die Universitäten müssten in ein solches Kontrollsystem einbezogen werden.
(b) Die Finanzierung des “Bildungssystems”, die zwar eindeutig dem Staat obliegt, aber nicht durchgängig so gestaltet ist. Es gibt Bundesländer, in denen man Studiengebühren zahlen muss. Es gibt Schulen, die bei der Umsetzung der Lernmittelfreiheit (aus ehrenwerten Gründen) “tricksen”. Es gibt Schulkosten, die von den Eltern zu zahlen sind: Ausstattung der Kinder, Mittagessen, Ausflüge. Und es gibt nur wenig Kommunen, wo der Besuch der Kindergärten nichts kostet.
Wenn das Geld nicht für alles reicht, dann wäre ich dafür, bei den ganz Kleinen anzufangen, das “Kindergartengeld” abzuschaffen und die Vorschuleinrichtungen pädagogisch optimal auszubauen.

Ich gehe mal davon aus, dass die Wahlkampfstrategen einfach ein sympathisches Gesicht gesucht haben. Mehr bleibt im Vorbeifahren auch nicht hängen. Dass Bildungspolitik auf Bundesebene an sich nichts verloren hat, und unsere ehemalige baden-württembergische Ministerin auch im Forschungsbereich kaum brauchbaren Ergebnisse vorweisen kann, scheint die SPD zu animieren dieses Thema aufzugreifen.

Bildung ist übrigens gar nicht das Problem der meisten jungen Menschen, sondern elementare Grundkenntnisse z.B. in Algebra und Deutsch. Da hilft auch kein nettes Gesicht – wer die Sprache nicht beherrscht und zwei und zwei nicht zusammenzählen kann, der hat unter keiner Regierung in diesem Land den Hauch einer Chance auf dem Arbeitsmarkt. Die Konkurrenz ist nämlich inzwischen weltweit, und die Saturiertheit anderswo lange nicht so ausgeprägt wie unter der deutschen Hartz-4-Jugend – mit oder ohne Migrantenhintergrund.

Vielleicht sollte man einfache Weisheiten wie “von nichts kommt nichts” unter solche netten Gesicher schreiben.

Das mit dem angenehmen, jungen Gesicht als Blickfang trifft sicher zu. Es wird mit einem Thema (Bildung) und einem Versprechen (Bildung gibt es mit uns kostenlos!) verknüpft und so vom Betrachter über die Farben und die drei Buchstaben mit der Partei (SPD) in Verbindung gebracht. Plakate haben wenig mit Wahlentscheidungen zu tun; aber sie signalisieren Präsenz. Teuer sind sie auch, vor allem wenn Agenturen mit der Entwicklung und Aufstellung beauftragt werden. Aber irgendwo muss das Geld ja hin, das der Steuerzahler den Parteien für die Wahlkämpfe gewährt.

Der ist hier noch nicht aufgetaucht: Aber selbst, wenn er gut ist: Das Thema gehört nicht auf den Tisch. Manchmal kommt es mir so vor, als planten alle Parteien eine Grundgesetzänderung, damit sie endlich auf Bundesebene “Schule machen” können. Aber das wäre das Ende des Föderalismus, denn was bliebe den Ländern dann noch als eigener Politikbereich?

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