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Ungeliehen – die angeblichen Leihstimmen

Nach dem Wählen kommt das Deuten. Vor allem jene, die mit dem Wahlergebnis nicht ganz zufrieden sind, haben den Drang, es zu interpretieren. Bei diesem Erklärungsprozess spielt wieder einmal das Wort „Leihstimme“ eine wichtige Rolle. Zu Unrecht, wie ich meine.

Besonders beliebt ist unter Christdemokraten die Auffassung, sie hätten mit ihren Leihstimmen der FDP zu einem guten Ergebnis verholfen. Schon seit mehreren Bundestagswahlen taucht dieses Ungeheuer aus dem Wahlsee auf. Einst verwendete man es gönnerhaft („Wir haben der FDP mit unseren Leihstimmen über die 5-Prozent-Hürde geholfen“), heuer dient es mehr der eigenen Entlastung: „Nur mit den Leihstimmen der CDU konnte die FDP so gut abschneiden.“
Mit dem Verb „leihen“ bezeichnen wir in der deutschen Sprache folgenden Vorgang: Jemand hat etwas, das ein anderer nicht hat. Er gibt es dem anderen für eine gewisse Zeit und erwartet danach die Rückgabe des Geliehenen. Manchmal wird eine „Leihgebühr“ verlangt.

Übertragen auf die Politik würde das heißen: Die CDU hat Stimmen, die die FDP nicht hat. Sie gibt sie ihr für eine Legislaturperiode und erwartet die Rückgabe bei der Wahl 2013. Als Gebühr verlangt sie Wohlverhalten in der Koalition.

Der Fehler ist offenkundig: Die CDU hat die Stimmen gar nicht, die sie angeblich der FDP leiht. Es sind die Stimmen der Wähler, und die entscheiden im Wahllokal, wem sie sie geben, der einen oder der anderen oder keiner Partei – wenn sie am Wahltag zu Hause bleiben. Die Bürger wählen haben diesmal so gewählt und das nächste Mal geben sie ihre Stimmen vielleicht wieder ganz anders ab. So ist das in der Demokratie. Auch die CDU und ihre Deutungshelfer müssen das lernen. Und die FDP sollte sich der wechselnden Gunst der Wähler bewusst bleiben.

2 Antworten auf „Ungeliehen – die angeblichen Leihstimmen“

Na, das ist ja schön. Sobald die Wahl beendet ist, geraten die beiden Siegermächte, im Sinne der künftigen Koalitionspartner, gegenseitig in Konflikt um ihr je persönliches Prestige. Da steht der demokratischen Auseinandersetzung trotz mehr oder weniger eindeutigen “Wählerwillens” ja nichts mehr im Weg! Aber belastend ist das dauernde politische Hickhack schon. Wo geht es um die Sache, wo um “Hahnenkämpfe”?

An Nana: Ob man das immer so trennen kann? Unter Politikern geht es zu wie im wirklichen Leben, ob im privaten, betrieblichen oder behördlichen. Man will jemand etwas “heimzahlen” – und findet dazu einen ehrenwerten sachlichen Grund. Man will deutlich machen, wer “Herr” im Haus ist – und kann sich dabei auf sachliche Notwendigkeiten berufen.
Und seinen wir ehrlich: Die Sache wird doch nur dadurch interessant, dass sie mit Persönlichem verquickt wird. Sie wird dadurch allerdings auch schwieriger, weil man beide Bereiche bearbeiten muss.
Shakespeares Königsdramen und Schillers spätere Werke sind für mich Beispiele dafür, dass es bei Konflikten immer um eine Verquickung von sachlicher und emotionaler Ebene geht. Bei der alltäglichen Suche nach Konfliktbewältigung raten wir Pädagogen allerdings gerne dazu, beides sorgfältig zu trennen.

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