Kategorien
Politik

Unbeholfen – Lehrerlob und Schreibertadel

Die Freude darüber, dass der Stuttgarter Regierungspräsident den Weltlehrertag zu einer Lobrede auf die Lehrerschaft genutzt hat, weicht bald einer ärgerlichen Stimmung, wenn man den Bericht in der Sindelfinger Zeitung (6.10.09) näher betrachtet. Die Fotos, die Sprache und die Zeichensetzung sind zum Jammern. Da stellt sich die Frage: Haben die Lehrerinnen und Lehrer kein besseres Lob verdient?

Auf den beiden Fotos erblickt man sechs Menschen, aber keinen einzigen Lehrer, dafür eine Abgeordnete, einen Regierungspräsidenten, einen Landrat, eine Dame vom Regierungspräsidium, einen Seminarleiter und einen Schulleiter.

Die Sprache des Artikels ist so, dass man zum Rotstift greifen möchte. Da heißt es, der Regierungspräsident habe „anlässlich des Weltlehrertags … die Idee gehabt“, den Lehramtsanwärtern „Anerkennung und Unterstützung für ihren schweren Beruf zu zeigen“. Gemeint ist: Der Präsident nutzte den Weltlehrertag, um den künftigen Lehrern seine Anerkennung auszusprechen und ihnen Unterstützung (welche?) in Aussicht zu stellen. Zu deren Ausbildung wird gesagt, sie würden, „neben ihrem praktischen Einsatz in Schulen“, „in Theoriestunden auf ihren Beruf vorbereitet“. Das klingt nach Fahrprüfung. Und wieso „neben“? Gemeint ist: Die Referendarinnen und Referendare werden in eineinhalb Jahren vom Seminar und von ihrer Schule theoretisch und praktisch auf den Lehrerberuf vorbereitet. Tiefsinnig wirkt der vom Zeitungsschreiber zitierte Satz des Regierungspräsidenten: „Der eigentliche Beruf des Lehrers im Alltag ist kaum jemandem bekannt.“ Meint er, dass kaum jemand etwas über den Lehreralltag weiß?

Mit den Kommas steht der Verfasser des Artikels auf Kriegsfuß. Um den Lesern dieses Blogs auch einmal etwas zum Rätseln zu geben, seien vier Sätze zitiert, in denen sich nach Häckerlings Auffassung Fehler versteckt haben: (1) „Lehrer werden in Deutschland nicht so sehr geschätzt, wie in anderen Ländern.“ (2) „Die Kinder haben eine lange Vergangenheit hinter sich, und noch einen langen Weg vor sich.“ (3) „In seinem Wunsch Grund- und Hauptschüler zu unterrichten ist M. M. einer von wenigen Männern.“ (4) „Ich fand (sagt A. H.) diesen Beruf (der Lehrerin) schon immer faszinierend, und habe vorher viel in der Jugendarbeit gemacht.“

4 Antworten auf „Unbeholfen – Lehrerlob und Schreibertadel“

Der von Häckerling kritisierte Artikel ist, sagen wir, „bunt“. Besonders reich an Stilblüten, Bildern und interpretierungsbedürftigen Gewagt-Metaphern bei insgesamt gutem Willen.

– Die Lehrer hätten den „Schlüssel“ für die Zukunft der Kinder in der Hand, sie würden die Kinder „lenken“, sie „schützen“ und ihnen somit die Zukunft „offen“ halten?
– Angehende Lehrer/gerade-noch-Schüler müssten erst durch Seminarlehrer lernen, welche Instrumente bei Schülern „populär“ seien?
– Dass es vor einem „schon immer“ ein „noch vorher“ geben soll, ist sprachlich ein Triumph!
– Nachmittagsuntericht und statistisch relevante Gefahr eines Burn-out-Syndroms als Beleg dafür, dass das Lehrerdasein kein Halbtagsjob sei?

Einmal sind alle Abgeordneten, Regierungspräsidenten, Landräte, Regierungspräsidiumsmitarbeiterinnen, Seminar- und Schulleiter sowie Journalisten und Lehramtsanwärter/innen Schüler/innen gewesen. Und sind durch unser Schulsystem – vermutlich das gymnasiale – gelaufen. Und ihre Eltern hatten dem Schulsystem laut dem Zeitungsartikel die Aufgaben „vorgegeben“; nämlich die häuslichen „Defizite aus(zu)gleichen“, worauf dieses System „eine Antwort wusste” (oder auch nicht). – Wer ist alles mitverantwortlich für das hier Geschriebene oder: wer hat mit-versagt? Die am Weltlehrertag Vortragenden, der referierende Journalist, deren Eltern – oder ihre/seine Lehrer?

An Nana: Es gibt im Schwäbischen eine Redensart, die da lautet: Daran ist die Hebamme nicht mehr schuld. Es geht um Defizite aller Art. Wer schreibt – nicht im Privaten, sondern für die Öffentlichkeit – muss es können. Wir erwarten von Ärzten, Architekten, Steuerbeamten, Schreinern, KFZ-Mechanikern, dass sie ihr Handwerk beherrschen. Das dürfen wir auch von Zeitungsschreibern verlangen. Wobei nicht gemeint ist, dass sie nicht ab und zu mit ihrer Meinung daneben liegen dürften – aber sie sollten wenigstens in der Lage sein, sie verständlich zu formulieren. Eine Mitschuld der Schule an derlei radebrechendem Journalismus lehne ich ab.

Die Schule als Kompetenz orientierte Hebamme (analog zu Sokrates’ Selbstbild als geistiger Hebamme) mit beschränkter Haftung. Darin erscheint mir ein Kern richtig, aber apodiktisch formuliert. John Locke schreibt: „Es muss dem Ehrgeiz genügen … den Baugrund etwas aufzuräumen und einen Teil des Schutts zu beseitigen, der den Weg zur Erkenntnis versperrt.“ –

Eigentlich hatte ich bei meinem unwichtigen Beitrag zum Weltlehrertag – die kleine Spitze in der Schlussfrage hatte sich so ergeben, war nicht bös gemeint; ich wollte probeweise den im Hauptbeitrag Angeklagten von seiner Alleinverantwortung entlasten – entfernt an Kants Äußerungen zur Pädagogik gedacht. In „Über Pädagogik“ hat er den Gedanken der Erziehung als Kunst, die – wenn überhaupt – über Generationen und geschichtlich erst vervollkommnet werden könne, dargelegt. „Der Mensch kann nur Mensch werden durch Erziehung. Er ist nichts, als was die Erziehung aus ihm macht. Es ist zu bemerken, dass der Mensch nur durch den Menschen erzogen wird, durch Menschen, die ebenfalls erzogen sind. Daher macht auch Mangel an Disziplin und Unterweisung bei einigen Menschen sie wieder zu schlechten Erziehern ihrer Zöglinge. Wenn einmal ein Wesen höherer Art sich unserer Erziehung annähme, so würde man doch sehen, was aus dem Menschen werden könne.“

Mit ihrer Vervollkommnung würde die öffentliche Erziehung als Ergänzung der privaten sich fortan unnötig machen. Das ist die Utopie. Noch ist das Gegenteil der Fall. Hentigs zugewandte Formel: “Die Menschen stärken und die Sachen klären”, – sie fasst den Anspruch an Schule, Erzieher und uns untereinander, die Welt zu verbessern, zusammen.

An Nana: Die Kommentare adeln einen schlechten Beitrag zum Weltlehrertag. Die Grundsatzfrage, inwiefern “die Schule” und damit “die Deutschlehrer” für sprachlich desaströse Artikel in den Medien verantwortlich sind, kann man sehr wohl stellen. Ich könnte auch (bestätigend) sagen, dass dem klaren Sprechen und Schreiben weder in der Lehrerausbildung noch in der Schulpraxis die Bedeutung zugemessen wird, die ihm zukommen müsste. Beim Aufsatz könnte viel mehr Energie auf die Verbesserung des Ausdrucks verwendet werden. Es gibt immer noch viele Lehrer, die ihren wertvollen Vorschlag zur sprachlichen Optimierung an den Rand schreiben. Was bringt das? Verwöhnen wir in diesem Bereich die Schüler, die Referendare nicht zu sehr und verlangen wir zu wenig? Wir räumen allen Bauschutt auch da weg, wo die Lernenden selber räumen müssten.

Schreibe einen Kommentar zu haecker Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.