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Politik

Druck oder Zwang

Durch ein Kinderschutzgesetz will das Land Baden-Württemberg seit 2009 verhindern, dass kleine oder größere Kinder verwahrlosen, weil ihre Eltern es an der Pflege und Erziehung fehlen lassen. Nicht alle Eltern kommen diesen verpflichtenden Untersuchungen (U 1 bis U 11) nach, wie man der heutigen Ausgabe von Sonntag Aktuell (16.5.10) entnehmen kann. Trotzdem will das zuständige Sozialministerium auf Sanktionen, also „Strafen“, verzichten. Man hat mit den Krankenkassen vereinbart, den (moralischen?) Druck zu erhöhen, indem die Kassen den Eltern einen (freundlichen?)  Brief oder ein E-Mail schicken und sie auf diese Weise an die Untersuchungen erinnern. Manche Kassen belohnen sogar jene Eltern mit Geld- und Sachprämien, die ihrer Pflicht nachkommen.

Da stimmt etwas nicht, findet Häckerling. Es wird belohnt, wer eine Pflicht erfüllt, es wird freundlich erinnert, wer sie nicht erfüllt, und es bleibt ungeschoren, wer sie trotz Erinnerung unbeachtet lässt. Aber wie soll man jene Kinder herausfinden und schützen, die vernachlässigt oder geschlagen werden und körperlich und geistig verkümmern? Eine Pflicht ist etwas, was man tun muss. Traut sich die Politik nicht, entschiedener aufzutreten? Will man die Bürger als Wähler nicht verärgern?

Es geht hier nicht um die Eltern, es geht um die Kinder, um deren Wohl und Wehe. Da müssen Empfindlichkeiten zurückstehen. Wenn etwas schiefgegangen ist, wenn das Kind bereits „in den Brunnen gefallen“, also psychisch und mental gestört ist, dann leidet es ein Leben lang – in der Kita, in der Schule und auf dem Weg ins Berufsleben. Man sollte also über Sanktionen gegen säumige Eltern durchaus nachdenken.

(Blog-Eintrag Nr. 182)

3 Antworten auf „Druck oder Zwang“

Eltern, die ihre Kinder verwahrlosen lassen, lesen wahrscheinlich auch keine Briefe vom Sozialministerium. Man braucht einen Führerschein für Autos, man denkt sogar über eine Prüfung für das Halten von Hunden nach, aber Kinder darf man großziehen, ohne dass man auch nur Ansatzweise nach seiner Eignung oder Einstellung gefragt wird. Eine Pflicht ist nur eine Pflicht, wenn die Versäumnis derselben Folgen hat, unangenehme für die Eltern rettende für die Kinder. Aber wir leben in einem Land, in dem fast jeder auf seine Rechte pocht und seine Pflichten wegschiebt, vergisst oder einfach wegzuklagen versucht.

Vielleicht muss man sich damit befreunden, dass dieselbe Maßnahme auf unterschiedliche Menschen unterschiedlich wirkt, unterschiedlich erfolgreich ist. Wir haben neulich im Rahmen einer Prüfung zum Thema „Lernpsychologie“ einen ähnlichen Fall diskutiert.
Es ging um das Zu-schnell-Fahren. Der Staat reagiert parallel mit drei Arten von Maßnahmen: 1. Das unangesagte „Blitzen“, 2. die Warnung vor „stationären Kontrollen“ und 3. Rückmeldungen über die aktuelle Geschwindigkeit auf einem Bildschirm. – Was sagt, unterstützt durch Experimente, die Lernpsychologie dazu?

Bestrafungen (1) haben unliebsame Nebenwirkungen auf der Beziehungsebene. Außerdem wirken sie nur, wenn sie relativ schnell auf das Verhalten folgen und echt als schmerzhaft empfunden werden. Und sie motivieren sie dazu, das bestrafte Verhalten erneut in Situationen zu zeigen, in denen weitere Bestrafung weniger wahrscheinlich ist.
Warnungen (2) ermöglichen Unheil vermeidendes Verhalten, auf das dann eine „negative Verstärkung“ (Nichteintritt der Bestrafung) erfolgt, allerdings wiederum nur auf dieses Hinweissignal („stationäre Kontrollen“) hin.
Freundliche Erinnerung und Rückmeldung (3), wenn sie die Selbstachtung und Selbstbestimmung stärken, mögen die langfristigsten Verhaltensänderungen bewirken. Sie sind damit das Mittel der Wahl, zwar nicht bei allen, aber bei denen, wo dies genügt.
Warum also kein gestuftes Verfahren, in der Reihenfolge 3,2,1?

PS: Wo man möglichst viel Geld einnehmen will (“Parksünden”?), ist es günstig zu bestrafen. Wo man Fehlverhalten akut unbedingt vermeiden will (“Zu-schnell-Fahren vor dem Altersheim”), ist es gut zu belohnen oder vor Bestrafung zu warnen. Wo man langfristig soziales Verhalten aufbauen will (“Erziehung”), bleibt nur der Weg, sich parallel zu anderem menschlich zu engagieren, durch Briefe, durch Nachfrage, durch Engagement. Es gibt keinen Königsweg.

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