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Abitur oder Reife

Der Erwerb des „Reifezeugnisses“ – oder auch des Abiturs – ist ohne Frage ein Grund zum Feiern. Dabei haben sich in den letzten Jahrzehnten etliche Rituale herausgebildet, deren Vorbereitung die jungen Leute zeitlich meist mehr in Anspruch nimmt als die Prüfung selbst: der Sekt nach der letzten mündlichen Prüfung („Man gönnt sich ja sonst nichts“), ein Autokorso durch die Stadt („Wir sind Weltmeister“), der „Abi-Scherz“ (Unterhaltungsprogramm für die jüngeren Schüler, die sich besonders darüber freuen, dass der Unterricht ausfällt), die Abi-Zeitung (eine Bild-Zeitung, in der auch gerne mit Lehrern „abgerechnet“ wird), das Abi-Denkmal (für die Ewigkeit), die Feier anlässlich der Übergabe des Zeugnisses (hier redet der Chef) und dann noch er Abi-Ball mit einem umfangreichen, manchmal sehr anspruchsvollen Unterhaltungsprogramm.

Feiern nach dem Abitur sind gefährlich. Es wird viel getrunken und trotzdem mit dem Auto gefahren. Und manchmal artet das Ganze aus. Ein Saal, in dem Abiturienten feiern, muss einiges aushalten, und die Anwohner müssen es auch.

Am letzten Wochenende war es sehr warm. Die Abitur-Feier eines renommierten Sindelfinger Gymnasiums fand standesgemäß in der dortigen Stadthalle statt. Die liegt in einer Parkanlage. Als Eltern und Lehrer endlich das Feld geräumt hatten, wurde draußen weitergefeiert, laut und auch deutlich, mit Musik und Geschrei. Den Anwohnern wurde es irgendwann zu viel und sie holten die Polizei.

Der gefiel es verständlicherweise nicht, dass sie mit beleidigenden Bemerkungen und Liedern empfangen wurde, und sie griff dem Vernehmen nach energisch zu. Jetzt wird gegen einige „Festgäste“ ermittelt. Die örtliche Zeitung spricht von einem „traurigen Ende“ dieser „gelungenen“ Veranstaltung. Andere beklagen das „harte Vorgehen“ der Staatsgewalt.

Das Traurige daran ist nach Häckerlings Meinung aber auch, dass wieder einmal deutlich wurde, was ein Abitur nicht oder nicht immer ist: ein Zeichen der Reife.

Und die Schule? Sie kann eigentlich nichts dafür, muss aber trotzdem mit einem Image-Schaden leben. Vielleicht ist das ein Anlass, intensiver darüber nachdenken, wie man dem „Erziehungs- und Bildungsauftrag“ noch erfolgreicher nachkommen könnte.

(Blog-Eintrag Nr. 198)