Er mag sie eigentlich nicht, er hat sie noch nie so richtig gemocht und er muss sie auch nicht lieben, er, Günter Grass, die Israelis im Nahen Osten. Wir müssen ihn auch nicht immer lieben, den Nobelpreisträger für Literatur. Er hat uns lange verschwiegen, dass er als junger Mensch bei der SS war. Schweigen war hier Silber. Nun hat er ein Gedicht geschrieben, das eigentlich ein in Verse gegliederter Leitartikel ist. Darin geht es auch ums Schweigen, ums Verschweigen. Das Werk beginnt so:
„Warum schweige ich, verschweige zu lange, / was offensichtlich ist und in Planspielen / geübt wurde, an deren Ende als Überlebende / wir allenfalls Fußnoten sind.“
Grass hat, das sei vorab gesagt, fast nie geschwiegen, sondern sich unaufhörlich redend eingemischt. Nun will er das Schweigen über etwas brechen, was seit Monaten laut hörbar diskutiert wird: den israelischen Plan (Grass: „Planspiele“) eines militärischen Schlags gegen den mutmaßlichen iranischen Atombombenbau. Diesen Plan muss man nicht gutheißen, aber man sollte wenigstens den Hintergrund einbeziehen. Es ist die iranische Führung, die den Staat Israel unaufhörlich in seiner Existenz bedroht, zumindest verbal. Aber mit Worten fängt es immer an.
Was Grass auch nicht länger verschweigen mag: dass Israel Atomwaffen besitze. Wer verschweigt das eigentlich? Alle wissen es. Googeln, Herr Grass; hilft auch hier weiter: Israel ist eine Atommacht.
Die erste Strophe des Gedichts ist von der dem Autor eigenen Unklarheit. Zeichnen wir den Gedanken nach: „Ich“, das grammatische Subjekt, verschweigt etwas (Objekt): nämlich das, „was offensichtlich ist“. Von dem erfahren wir, dass es „in Planspielen geübt wurde“. Er meint wohl die militärische Aktion gegen den Iran. Nun sagt er aber nicht: „an dessen – des Militäreinsatzes – Ende“, sondern „an deren – der Planspiele – Ende“, was eigentlich harmlos klingt. Er schließt an, dass „wir“ (also Grass und andere), wenn das Spiel zu Ende ist, zwar überleben, aber leider „allenfalls (als) Fußnoten“. Ist das die Pointe? Dass Grass sich mit dem Los einer Fußnote in der Geschichte nicht zufrieden geben will?