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Historischer Augenblick

War Chamberlain naiv, weil er glaubte, bei der Konferenz in München (1938) den Frieden gerettet zu haben? Harris beschreibt den britischen Premierminister als einen Mann, dem die Vermeidung eines Krieges in Europa so wichtig war, dass er Hitler sogar in der Sudetenfrage weit entgegenkam. Dabei waren die Eroberungspläne des deutschen Diktators nicht nur unter Insidern bereits bekannt. Harris erfindet für seine Geschichte zwei Repräsentanten ihrer Länder, zwei Freunde aus Studententagen, den Briten Hugh Legat und den deutschen Aristokraten Paul von Hartmann. Sie nehmen als Delegierte an der Münchener Konferenz teil. Das bietet dem Erzähler die Möglichkeit, den Leser hinter die Kulissen der offiziellen Politik blicken zu lassen. Von Hartmann gehört zu einer Gruppe von Hitler-Gegnern. Er benutzt Legat als „Briefträger“. Ein geheimes Dokument soll beweisen, dass Hitler keinen Frieden will. Aber der Versuch, das Münchener Abkommen zu verhindern, scheitert. Chamberlain wehrt sich gegen diese Information, die seine Mission in Frage stellt. So kommt es zu der berühmten Wochenschauszene, in der er ein Papier schwenkt, das den Frieden sichere. Chamberlain wird dafür weltweit bejubelt. Dass der britische Premierminister selbst Zweifel am Erfolg des Abkommens hatte, deutet der Erzähler an. Harris gelingt es, die Spannung dieser Septembertage lebendig zu vermitteln. Die Fakten hat er wie immer sorgfältig recherchiert. Wir Heutigen wissen, dass die Weltgeschichte anders weiterging, als Chamberlain (und die damalige Welt) es sich erträumte. Die Katastrophe, die ein Jahr später begann, hätte nicht sein müssen. (Robert Harris: München. Roman 2017. Verlag Heyne)

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