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Journalistische Verwertungsoptimierung

Wenn man mit Zeitungen aufgewachsen ist, mag man sie ungern missen. Die tägliche Lektüre von wichtigen oder belanglosen Ereignissen war schon für Hegel ein fast religiöser Akt mit alttestamentlicher Dimension. Erfährt man doch alles Schlimme, welches die Welt zu bieten hat. So bleibt man realistisch, gefeit gegen jedweden Illusionismus. So weit, so gut. Aber nun mischen sich in die tägliche Presseschau Gefühle des Unmuts. Denn die Inhalte zweier einst sehr unterschiedlicher Postillen, der regionalen Böblinger Kreiszeitung (mit dem Mantel der Stuttgarter Nachrichten) und der überregionalen Stuttgarter Zeitung gleichen sich mehr und mehr. Natürlich sind die Tagesthemen schon immer ähnlich, das Weltgeschehen ist nun mal so, aber die Texte ähneln sich nicht nur, sie sind fast immer identisch. Es handelt sich nicht um Einzelfälle, sondern um zehn bis zwanzig Berichte pro Tag, die sich bis in die Druckfehler gleichen. Nur die Fotos sind manchmal verschieden und das Layout und natürlich stehen die Berichte auf unterschiedlichen Seiten. Was waren das noch für Zeiten, als man am Montagmorgen zwei verschiedene Berichte vom letzten Spiel des VfB lesen konnte! Noch raffinierter ist übrigens der zeitversetzte Abdruck („War das nicht vorgestern schon in der X-Zeitung?“). Vor kurzem erschien derselbe Artikel zum dritten Mal. Häckerling muss also feststellen, dass die einst heftig konkurrierenden beiden Stuttgarter Tageszeitungen inzwischen in froher Harmonie ihre Arbeit tun. Ich stelle sie mir im selben Haus einträchtig nebeneinander sitzend vor und ihre Texte verfassen, sie auf den hauseigenen Rechner schicken, wo sie dann von einem Oberredakteur auf die beiden Blätter verteilt werden. Nun könnte man einwenden, eine Zeitung genüge künftig. Aber welche? Die regionale bringt mehr Regionales, die überregionale mehr Kulturelles. Wie schön, wenn man sich eine Zeitung zusammenbasteln könnte: das von der einen und jenes von der anderen. Aber das Leben ist kein Wunschkonzert, das Zeitunglesen schon gar nicht.

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Reformatorischer Alltag

Der 31. Oktober ist nur in den neuen Bundesländern, wo es so gut wie keine Christen mehr gibt, ein Feiertag. In Baden-Württemberg ist es beim katholischen Allerheiligen als Feiertag geblieben. Die Protestanten sind ein Jahr nach der Luther-Fest-Orgie wieder im unheiligen Alltag angekommen. Konkret heißt das: Dauernd wird am Abend des 31. Oktober an der Haustür geklingelt. Kleine und nicht ganz so kleine verkleidete Kinder stehen davor und sagen den Spruch: Süßes oder Saures. Wenn man sie fragt, was sie mit dem Sauren meinen, schauen sie ratlos. Offenbar wird ihnen reichlich gegeben, denn auf den Wegen liegen Bonbon-Papiere und andere Verpackungen zu Hauf. Ist das mit dem Sauren gemeint, dass ich nun den Halloween-Müll aufsammeln soll? Dabei ist der Ärger über den Reformationsabend in der hiesigen Kirche noch nicht verflogen. Ein Vortrag über „Glaube und Bildung“ war derart unverständlich (zahllose Versprecher, unübersichtliche Schachtelsätze) und unbekömmlich (unbegründete Attacken gegen die Aufklärung und PISA), redundant (ständige Wiederholung von Banalitäten) und am Thema vorbei (Luther und die Juden, Luther und der Bauernkrieg, landesherrliches Kirchenregiment), dass man laut aufschreien hätte wollen oder wütend die Kirche verlassen. Das tut man natürlich nicht. Nicht einmal diesen Mut hat unsereinem Luther vermittelt. Der hat des Volkes manchmal derbe, aber auf jeden Fall eine deutliche Sprache gesprochen. Und sogar Deutsch. Nicht dieses pseudowissenschaftliche Kauderwelsch, das ständig über uns ausgegossen wird. Reformation? Fehlanzeige.