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Benannte Gesetze

Mit dem „Gute-Kitas-Gesetz“ hat es angefangen, mit dem „Starke-Familien-Gesetz“ ging es weiter, der Trend zur verständlichen Benennung von Gesetzen ist unverkennbar. Derlei Bezeichnungen haben den großen Vorteil, dass sie ausdrücken, was das Gesetz zu erreichen vorgibt, aber in der Regel nicht schafft. Diese Gesetze werden keine guten Kitas und starke Familien schaffen, sondern allenfalls ein Zwischenschritt auf dem Weg dahin sein. Die Gesetzesnamen suggerieren also, was sie in Wirklichkeit nicht leisten. Sie sind Propaganda und damit Teil des permanenten Wahlkampfs. Die Regierung von Baden-Württemberg könnte diese Möglichkeiten auch nutzen. Wie wäre es mit einem „Gute-Schulen-Gesetz“ oder einer „Erfolgreicher-Unterricht-Verordnung“. Dann hätte man wenigstens mit der Benennung das Ziel erreicht, das tatsächlich noch weit entfernt ist. Denkbar wäre auch ein „Kein-Unterrichtsausfall-Gesetz“ oder eine „Digitalisierte-Schule-Initiative“. Häckerling fragt sich, warum unser Land nicht auf diese sprachliche Möglichkeit zurückgreift. Die Idee, an die Stelle erfolgreicher Politik erfolgreiche Propaganda zu setzen, ist uralt. Schon immer haben Politiker mit sprachlichen Mitteln versucht, ihr Versagen zu kaschieren. Treffende Bezeichnungen könnten das Land wieder in die Erfolgsspur bringen. Frau von der Leyen soll bereits an einem „Schlagkräftige-Bundeswehr-Gesetz“ arbeiten und der Finanzminister an einem „Bürgerfreundliche-Steuerentlastung-Gesetz“, im Verkehrsministerium liegt der Entwurf für das „Staufreie-Straßen-Gesetz“ und im Innenministerium das „Integrierte-Migranten-Gesetz“. Die Welt wird besser mit jedem Tag, wenigstens die Welt der Gesetzesnamen.

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Verstummte Autoren

Zwei Vertreter der israelischen Literatur sind 2018 gestorben: Amos Oz und Aharon Appelfeld. Oz war der Chronist des neuen Staates und sein kritischer Begleiter. In seiner Lebensgeschichte, die von „Liebe und Finsternis“ geprägt ist, erzählt er vom Werden des Staates Israel. Noch bis kurz vor seinem Tod mahnt er zur Versöhnung mit den Palästinensern. Appelfeld war weniger im Rampenlicht. Daher sei von ihm und seinem Roman „Auf der Lichtung“ (2014) kurz die Rede, Es ist der vorletzte von 46 Romanen, die er geschrieben hat. Auch hier schöpft der in Czernowitz Geborene aus seinem eigenen Leben, der Kindheit und Jugend in der Ukraine, der Bedrohung durch den Zweiten Weltkrieg, der Vernichtung der Juden. Edmund, der Ich-Erzähler dieser Geschichte, ist 17 Jahre alt. Er wächst in einer bürgerlichen Familie auf, besucht das Gymnasium. Vor dem Abitur muss er es wegen der deutschen Verfolgung verlassen. Die Eltern werden deportiert. Er kann fliehen und schließt sich einer jüdischen Widerstandsgruppe an. Sie agieren in den Wäldern der Karpaten als Partisanen. Der Anführer (Kamil) legt großen Wert auf die Vermittlung der humanen Werte eines reflektierten Judentums in der Tradition Martin Bubers. Ihr militärisches Ziel ist es, durch Sabotage-Akte den Abtransport der jüdischen Bevölkerung in die KZs zu stören und möglichst viele Menschen vor dem Tod zu bewahren. Die Geretteten verstecken sie in einem relativ sicheren Berglager und pflegen sie, so gut es geht. Dann beschießt ein deutsches Kommando das Lager mit Granaten. Kamil und andere sterben. Auch wenn viel vom Kampf gegen die deutschen Besatzer erzählt wird, wichtiger sind die Porträts der Menschen, die sich dieser gefährlichen Aufgabe stellen. Da gibt es den an Depressionen leidenden Kommandanten Kamil und seinen schweigsamen Stellvertreter Felix, den überzeugten Kommunisten Karl, den religiös inspirierten Isidor, das stumme Kleinkind Milio und seinen „Ersatzvater“, eine weise Alte, eine unermüdlich arbeitende Köchin, das Mädchen Miriam – ihre Lebensgeschichten gehen unter die Haut. Appelfeld erzählt sie in einer schlichten, schnörkellosen Sprache, die von Mirjam Pressler sensibel übersetzt wurde.

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Inflationäre Gutnoten

Das Phänomen ist bekannt: Die deutschen Abiturnoten beruhen auf unterschiedlichen Leistungsanforderungen in den einzelnen Ländern. Trotz jahrzehntelanger Bemühungen ist es ihnen nicht gelungen, die Anforderungen in der gymnasialen Oberstufe so anzugleichen, dass man von „Gerechtigkeit“ reden könnte. Manche werden sich an die Zeiten des Bonus und Malus erinnern, den Abzügen und Zuschlägen zum Numerus Clausus, mit denen die Länder ihren Landeskindern bessere Chancen verschaffen wollten. Dass die Ergebnisse beim Abitur ständig besser werden – kaum jemand ist nicht „gut“ – beruht keineswegs auf besseren Leistungen, sondern auf dem freundlichen Entgegenkommen der Schulverwaltungen, dem sich auch die korrigierende und bewertende Lehrerschaft nicht verschließen kann. Wenn angesichts dieser bundesweiten Ungerechtigkeit nun der Deutsche Philologenverband fordert, über die Bedeutung der Note „sehr gut“ nachzudenken, hat er Besseres verdient als routinierte Politikerreaktionen („Eisenmann gegen …“). Wann ist eine Leistung besser als gut, also „sehr“ gut? Das ist seit 1968 so definiert: wenn sie den Anforderungen „in besonderem Maße entspricht“. Nun ist diese Definition leider nicht sehr aussagekräftig. Klar aber ist: ein Sehrgut kann es nicht dafür geben, dass jemand „alles richtig“ gemacht hat, es muss noch etwas „Besonderes“ bei der Lösung hinzukommen, ein wenig Genialität oder wenigstens Originalität. Es wäre „gut“, wenn die KMK sich mal wieder an ihre eigenen Festlegungen erinnern würde. Und „sehr gut“ wäre es, wenn sie sich nicht nur zu einer neuen, präziseren, bundesweit vergleichbaren und damit gerechten Notendefinition durchringen, sondern auch noch die Erwartungen in der gymnasialen Oberstufe vereinheitlichen könnte.