In der Zeitung steht, dass die Parteien Angst vor dem Wähler hätten. Ist das eine gute Nachricht oder eine bedenkliche? Eigentlich ist es in Ordnung, wenn die Parteien, die „an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken“ (Grundgesetz, Artikel 21), Respekt vor dem Souverän der Demokratie, dem „Volk“, haben, ihm „aufs Maul schauen“ und nicht gegen es regieren wollen. Aber wer ist das Volk? Es ist eine disparate Menge unterschiedlicher Menschen mit den unterschiedlichsten Einstellungen, Meinungen und Wünschen. Eine Partei allein kann dem gar nicht Rechnung tragen. Daher ist im Grundgesetz von „Parteien“ die Rede. Erst in ihrer Vielfalt wird aus der „Mitwirkung“ etwas Sinnvolles. Denn die Parteien müssen, wenn es darum geht, eine Regierung zu bilden, die verschiedenen Positionen zusammenführen und daraus ein Programm für vier Jahre gestalten. Das geht nur mit Kompromissen, also mit Abstrichen von der „reinen Lehre“. Ein Kompromiss hat immer Verlierer, sonst wäre er keiner. Das hat das Wahlvolk offenbar vergessen. Es wünscht sich eine harmonische Regierung, die in aller Stille ihre Arbeit macht. Der Streit um den richtigen Weg wird vom Volk offenbar wenig geschätzt. Das ist betrüblich, weil es auf eine mangelnde Kenntnis der Demokratie schließen lässt. Noch schlimmer ist es, wenn die Parteien gerade deshalb „Angst“ vor dem Volk haben. Anstatt den Bürgern zu sagen, dass es zum Wesenskern der Demokratie gehört, um die beste Entscheidung zu ringen, ja auch zu „streiten“, scheint man angstvoll auf „das Volk“ zu blicken. Lernen müssen also beide: das Volk und die Parteien. Aber Angst ist eine schlechte Voraussetzung fürs Lernen. Die Lehrerinnen und Lehrer wissen das, die Politiker jeden Geschlechts müssten es auch wissen.
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