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Über Käßmann 2

Es ist schade und es ist betrüblich, dass die Amtszeit der Frau Käßmann ein so abruptes Ende gefunden hat. Ein großer Aufbruch endete mit einem spektakulären Abbruch. Auch wenn andere es anders sehen: Zum Rücktritt gab es keine Alternative, meint der Verfasser dieser Zeilen. Für die Vorsitzende der EKD, der Evangelischen Kirche in Deutschland, gelten strengere Regeln als für Politiker.

Drei Sätze spielten nach dem Ereignis vom Samstagabend eine besondere Rolle. Sie bestätigen, dass Frau K. an ihre Grenzen gekommen war. Der erste Satz: „Ich bin über mich selbst erschrocken, dass ich einen so schlimmen Fehler gemacht habe.“ Daraus ist abzulesen, dass sie sich selbst nicht (mehr) zu kennen meint. Aber wer, wenn nicht sie selbst, musste wissen, wie es um sie stand an diesem Abend und an den vielen Tagen und Abenden davor? Ihr Kollege Schorlemmer sagte, sie habe unter Dauerstress gestanden. Anders gesagt: Sie war überfordert; sie war an den Grenzen der Belastbarkeit angekommen oder hatte sie überschritten. Wenn das aber so war, dann hätte sie daraus Konsequenzen ziehen müssen. Das wäre sie ihrer Aufgabe schuldig gewesen. Der christliche Glaube bietet dafür Wege an.

Der zweite Satz: „Mir ist bewusst, wie gefährlich und unverantwortlich Alkohol am Steuer ist.“ Offenbar hat das Wissen nicht gereicht, entsprechend zu handeln. Sich einer Gefahr bewusst sein und ihr nicht aus dem Weg gehen können, das ist eine bedrohliche Lebenslage. Konnte sie keiner zurückhalten? Konnte ihr keiner helfen?

Und der dritte Satz lautet: „Den rechtlichen Konsequenzen werde ich mich selbstverständlich stellen.“ Dieser Satz wäre besser nicht gesagt worden. Oder gab es (im Kopf der Frau K.) die Alternative, sich diesen Konsequenzen nicht zu stellen? Das Recht gilt für alle. Sich ihm zu entziehen wäre eine Straftat. Diese Option gibt es für die Spitzen der Kirche(n) hoffentlich nicht.

Frau Käßmann gebührt Dank für ihre Arbeit. Es ist ihr zu wünschen, dass sie nun in Ruhe wieder zu sich selbst finden kann.

(Blog-Eintrag Nr. 156)

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Konjunktur rauf, Sprache runter

Wenn die Finanzleute mit der Wirtschaft so umgehen wie mit der Sprache, dann wird das schwierig mit dem erhofften Aufschwung. Die „Marktanalyse 2009“ der BW-Bank lässt den Kunden immer wieder ob seiner sprachlichen „Feinheiten“ zusammenzucken. Häckerling bezieht sich auf eine Doppelseite, die von den Verfassern selbst als „Werbemitteilung“ eingestuft wird und „nicht allen gesetzlichen Anforderungen der Unvoreingenommenheit“ genüge. Mit anderen Worten: Die „enthaltenen Informationen“ (nicht enthaltene sucht man auf dem Blatt vergeblich) sind nur mäßig vertrauenswürdig.

Die Bankleute spinnen auf den zwei Seiten sprachliches Stroh zu Scheingold. Da ist vom „finalen Ausverkauf“ des DAX im Frühjahr 2009 die Rede. Wieso „final“ (vom lateinischen „finis“ – Ende)? Die Aktien des DAX wurden auch nach diesem Finale noch gehandelt. Ja, es kam sogar zu einer „Aufholjagd“, wie uns die Schreiber versichern. Dieses Bild kennen wir vom Radrennen; die Zurückliegenden wollen in die Spitzengruppe. Wer aber ist hier, beim DAX, vorne und damit das Ziel der „Aufholjagd“?

Man erwartet als Leser der Analyse eine Antwort auf die Frage, wie es weitergeht mit der „wohl holprig verlaufenden(n) Wirtschaft“ bei den derzeitigen „rekordniedrigen Leitzinsen“? Kein Wort verlieren die Analysten über die Griechen. Sie weisen nur darauf hin, dass sich die „erheblichen Etatdefizite vieler Staaten“ in einem „hohen Angebot an Staatsanleihen niederschlagen“ werden. Noch erfreulicher: Sie erwarten „positive Wachstumsraten“, weil sich 2010 die „milliardenschweren Konjunkturpakete“ – man glaubt es kaum – „entfalten“ werden. Pakete als sich entfaltende Blüten: ein konjunktureller Frühling steht an.

Der Höhepunkt der ökonomischen Wahrsagekunst wird im letzten Abschnitt erreicht. Da erfahren wir, dass „der sich verbessernde Nachrichtenfluss“ (man würde sich eher einen ansteigenden Fluss vorstellen) „von Seiten der Konjunktur“ (eine Art Nebenfluss also) „bis weit in das laufende Jahr fortsetzen“ werde. Auf Deutsch: 2010 gibt es mehr gute Nachrichten über die Konjunktur als 2009. Es wird alles besser. Auch Häckerling freut sich auf diesen „sich verbessernden“ Nachrichtenfluss.

(Blog-Eintrag Nr. 155)

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Gute Nacht, Deutschland

Diese trüb stimmende Meldung war (am 22.2.10) online beim ZDF zu finden. Offenbar hat man dabei Informationen von dpa verarbeitet:

Laut dem Centre for European Policy Studies (CEPS) in Brüssel, das von der EU-Kommission unterstützt wird, sind die Reformscheu und fehlende Investitionen in die Bildung Grund für die (negative) deutsche Entwicklung. Schon jetzt wachse die polnische Wirtschaft im Schnitt zwei Prozent schneller als die deutsche. Polen werde schon in 20 Jahren wirtschaftlich besser dastehen als Deutschland, lautet die These des CEPS-Leiters Daniel Gros, die er in dem Buch „Nachkrisenzeit“ gemeinsam mit der Journalistin Sonja Sagmeister aufgestellt hat. Der Aufholprozess gehe in den neuen EU-Ländern Osteuropas deutlich schneller voran.

„Deutschland ist alt, satt und behäbig geworden.“ Die Deutschen seien selbst in der Krise nicht gezwungen gewesen, radikal umzudenken. Laut Studie gibt es im deutschen Bildungssektor zu viele Schulabbrecher und zu wenige Uni-Absolventen. Das werde Deutschland in der nächsten Generation „zum Land der Hilfsarbeiter“ machen, sagte Gros. Verknüpfe man die Akademikerquote mit den Resultaten der Pisa-Studie, liege Warschau vor Berlin. Fast nirgendwo in Europa seien so wenige Arbeitskräfte in Kindergärten, Schulen und Universitäten beschäftigt wie in Deutschland. Mit einer Quote von sechs Prozent liege Deutschland weit hinter Großbritannien mit neun und Polen mit sieben Prozent. Jeder fünfte Jugendliche komme nicht über das Hauptschulniveau hinaus. „Die Facharbeitertradition und die Spezialisierung auf Industriegüter sind in der Krise ein Nachteil“, warnte Gros. Der Volkswirt forderte eine Bildungsreform. Deutschland müsse mehr Ingenieure und andere Akademiker ausbilden.

Das mag Häckerling nicht kommentieren. Prophezeite Ereignisse treten ein oder nicht ein. Manchmal treten sie nicht ein, weil sie prophezeit wurden. Das wäre erfreulich für das alte, satte und behäbige Deutschland.

(Blog-Eintrag Nr. 154)