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Unstimmige Metapher 1: Talsohle

Krisen bringen ihre eigenen Sprachbilder hervor. Unsere derzeitige hat uns schon allerlei beschert, zum Beispiel das Schnüren von Paketen. Das hat einen hoffnungsvollen Klang; denn wer erhält nicht gerne ein Paket, vor allem dann, wenn es ein Geschenk enthält?

Da in Krisen nichts wichtiger ist als die Hoffnung, geht es nun darum, sie anschaulich zu machen. Dafür haben sich die sprachlichen Meinungsmacher die Talsohle ausgedacht. Die, so erfahren wir, sei in Sicht.

Unter einer Talsohle versteht man den „Boden“ eines Tales, also den Teil, der bei einem landschaftlichen Einschnitt ganz unten ist. Dort fließt auch der Bach, der das Tal ausgeschnitten und geformt hat. Allerdings bedeutet das: ein Tal ist nicht eben, sondern schief, es muss sich nach unten neigen, wie sonst könnte das Wasser fließen? Die Talsohle hat ein unterschiedliches Höhenniveau. Wenn sie also „in Sicht“ ist, an welchen Abschnitt sollen wir denken, den unteren oder den oberen, von dem aus es noch einige Zeit weiter abwärtsgeht?

Die andere Frage, die mich bei dieser Metapher bewegt, ist der Standort des Betrachters. Die Talsohle sieht man von oben am besten. Vom Berg aus kann man auf sie hinunterschauen. Von dort aber ist der Weg ins Tal oft noch recht weit. Die Talsohle in Sicht zu haben, sagt also leider nichts darüber aus, wann man sie nach einem langen und mühseligen Abstieg endlich erreicht haben wird.

Und so verwandelt sich das vermeintlich tröstliche Bild beim Blick auf unsere Krise in ein eher beängstigendes. Wir sehen offenbar aus der Ferne (schon!?) das Ende von ihrem Wachsen, aber wie weit es noch ist, bis sie ihren Höhepunkt, genauer: ihren Tiefpunkt, erreicht hat, bleibt ungesagt.

Was in meinen Augen aber noch schlimmer ist: Wer kann uns versprechen, dass „die Wirtschaft“, wenn sie denn schließlich „ganz unten“ in der Talsohle angekommen ist, wieder den Weg nach oben einschlägt?

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Unspektakuläres Viertelhundert

Man kann vieles feiern: den normalen oder runden Geburtstag, die silberne oder goldene Hochzeit, das Abitur oder dessen 25-jährige Wiederkehr, den Einstieg in den Ruhestand oder (was aufs Gleiche hinausläuft) den Ausstieg aus dem aktiven Berufsleben. Aber kann man einen (oder ein) Weblog feiern? Kaum

Der in der Kopfzeile dieses Blogs Abgebildete erlaubt sich daher nur in aller Bescheidenheit den Hinweis, dass man nun schon fünfundzwanzig Einträge im „Häckerling“ finden kann.  25 Einträge, das ist natürlich überhaupt kein Grund zur Freude, auch nicht zum Feiern oder Festen, denn die Einträge weisen eher auf Unerfreuliches, Unfeierliches und Unfestliches hin. Sie legen den Finger vielmehr auf Ungutes und Unbedarftes und gehen dabei – wie manche Kritiker sagen – ziemlich unsanft vor.

Ein Schuster, so sagt die Redewendung, soll bei seinem Leisten bleiben, Nur dann wird ein Schuh aus dem, was er tut. Was die Blogger sich weltweit leisten, ist beeindruckend, aber es wird nicht immer ein Schuh daraus, weil sie ihr Metier verlassen. Häckerling hat sich bemüht, bei seinen persönlichen Leisten zu bleiben: Sprache, Zeitung, Schule, Kultur, Kirche, Kommune. Er hat sich die Anlässe zu seinen Einträgen nicht gesucht, sie auch nicht langfristig geplant. Die Motivation zum Schreiben stellte sich ganz unvermutet ein, wird doch alle Tage so viel leeres Stroh gedroschen, dass gar viele Häckerlinge herumliegen, auf die man unvermutet tritt.

Der unbekannten Zahl unbekannter Leserinnen und Lesern sagt Häcker Dank, den Kommentatoren Nana, Boris und Tobi auch, und zwar einen ganz besonderen. Ihre Einlassungen haben den Schreiber zum Zurückschreiben beflügelt. Widerspruch reizt bekanntlich zum Widerspruch.

Also denn: Ich hacke weiter auf leerem Stroh herum, unerschrocken und unbeirrt.

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Unangebrachte Forderung

Die Schüler, ist zu lesen (Stuttgarter Zeitung, 30.06.09), wollen an der Bewertung der Lehrer beteiligt werden. So jedenfalls stellen es die Schülervertreter im Landesschülerbeirat dar. Lehrkräfte seien „Dienstleister“, und in dieser Rolle müssten sie doch ein Interesse daran haben zu erfahren, wie ihr „Produkt ankommt“. Ihr Produkt?

So weit hat es das betriebswirtschaftliche Denken also schon gebracht. Lehrer „verkaufen“ etwas. Was sie loswerden wollen, sind „Waren“. Die Schüler, die vor ihnen sitzen, denken darüber nach, ob sie kaufen wollen oder es lieber lassen. Natürlich hängt das von den Werbekünsten der Lehrenden ab. Wer auf seinen Lehrinhalten wie auf Ladenhütern sitzen bleibt, muss eine Kundenbefragung vornehmen und dann sein Verkaufsverhalten so umstellen, dass die Kundschaft endlich zugreift. Erfolglose Lehrer, solche, die ihre Produkte nicht loswerden, müssen durch Evaluationen ermittelt und zur Schulung (Wie verbessere ich meine Verkaufsgespräche?) geschickt werden.

Das klingt modern, aber es ist falsch. Denn die Schule hat einen doppelten Auftrag: Sie soll erziehen und bilden – so jedenfalls steht es im Schulgesetz. Erziehung aber ist keine Ware, kein käufliches Produkt, sondern eine gemeinsame Aufgabe von Eltern, Lehrern und Kindern. Ja, auch von Kindern. Wer sich unerzogen aufführt, ist kein sich verweigernder Käufer von „Schulwaren“, sondern ein verkorkstes Wesen, das Probleme hat und bereitet. Dass er sich ändert, liegt in seinem ureigenen Interesse und also auch an ihm selbst.

Unter Bildung verstehen wir schon seit längerer Zeit nicht mehr einen Warenkorb von Wissensteilchen, sondern einen Prozess, in dessen Mittelpunkt die Lernenden stehen. Sie sollen keine Produkte erwerben, sondern Kompetenzen. Dass dies gelingt, liegt in besonderem Maße an den Schülern selbst. Sie sind keine Hunde, die man zum Jagen trägt, und keine Kunden, die durch ein Kaufhaus streifen, sondern es sind Individuen, die sich für ihren Lernerfolg abmühen müssen. Das Lernen kann ihnen niemand abnehmen. Die Lehrenden zum Sündenbock zu machen, wenn sie als Lernende versagt haben, das ist zu billig.

Damit will ich allerdings nicht sagen, dass der Unterricht unwichtig ist. Ihn ständig zu verbessern, das ist die Aufgabe aller, die im Schulsystem Verantwortung tragen. Aber das ist ein anderes Thema.