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Südafrikanischer Roman

Wird es eingehalten werden, dieses Versprechen gegenüber der schwarzen Haushalthilfe Salome, man werde ihr das Haus schenken, in dem sie seit Langem mit ihrer Familie wohnt? Der Roman „Das Versprechen“ von Damon Galgut (2021, Luchterhand-Verlag) spielt in Südafrika und umfasst eine Zeitspanne von fast vierzig Jahren. Die Struktur bekommt er durch die Beerdigungen. Nacheinander sterben vier Mitglieder der Familie Swart: Rachel, die Mutter, an Krebs, Manie, der Vater, an einem Schlangenbiss. Dann wird die Tochter Astrid das Opfer eines Gewaltverbrechens und schließlich bringt sich der Sohn um; Anton ist ein Versager, der zum Alkoholiker wird. Sie sind Weiße und leben in einem Land, das sich in diesen Jahrzehnten gewaltig verändert. Am Anfang regieren noch die Kolonialherren. Dann wird Nelson Mandela freigelassen und die Machtstruktur wandelt sich. Es gibt mehr Freiheit für die Schwarzen, die Wirtschaft boomt, aber auch das Verbrechen. Der allwissende Erzähler, der hier eine herausragende Rolle spielt, lässt uns an den Gedanken und Gefühlen der Swarts teilhaben, springt vom einen zum andern, kommentiert das Geschehen und stellt Bezüge her. Der Niedergang dieser Familie spiegelt die Probleme des Landes. Salome aber, die den Swarts ein Leben lang gedient hat, wartet auf die Erfüllung des Versprechens. Am Ende bleibt nur noch Amor übrig, die jüngere der beiden Swart-Töchter. Sie kann das zu Ende zu bringen, was bisher versäumt wurde. Ein großer Roman, mit scheinbar leichter Hand geschrieben, der zu Recht den Booker-Preis 2021 erhalten hat.

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Geschichte

Ukrainische Geschichte

Es gibt allerlei, was man über die Ukraine weiß oder zu wissen meint, aber doch nicht richtig weiß. Warum beansprucht Russland diesen Staat als sein Eigentum? Sind seine Unabhängigkeitsbestrebungen eine Erscheinung des 20. Jahrhunderts oder gibt es sie schon länger? Wie haben sich die Zaren gegenüber der Ukraine verhalten, wie Lenin und Stalin? Was hat Deutschland mit dem Land zu tun? Steffen Dobbert zeichnet in „Ukraine verstehen“ (Verlag Klett-Cotta) die Geschichte, Politik und den Freiheitskampf des Landes nach. In diesem handlichen und gut zu lesenden Büchlein verschweigt Dobbert nicht die problematischen Phasen des Landes, als Nationalisten ohne Rücksicht agierten, aber er würdigt auch ausführlich die verschiedenen Freiheitskämpfe bis hin zu den Orangen Revolutionen. So entsteht das Bild eines Landes, dem seine Nachbarn immer wieder verwehren, eigenständig zu werden. Die russischen bzw. sowjetischen Nachbarn beuteten es brutal aus. Stalin ließ in den 1930er Jahren rücksichtslos Millionen verhungern, weil er das ukrainische Getreide devisenbringend verkaufen wollte. Das Deutsche Reich holte sich während der NS-Zeit Ukrainerinnen und Ukrainer als Fremdarbeiter: In ihnen sah man eh nur Menschen zweiten Ranges („Untermenschen“). Dass Russland ohne jeden begründbaren Anspruch das Ziel hat, sich diese „Grenzregion“ einzuverleiben, seine Rohstoffe zu nutzen und jede kulturelle Eigenheit, vor allem die Sprache, zu unterdrücken, wird in Dobberts Buch ausführlich begründet. Putins Ziele sind mit denen Stalins identisch: die Russifizierung der Ukraine, die Vernichtung der dortigen politischen Führung, die Zerstörung seiner Bindung an den Westen. Die Ukraine ist für ihn, den neuen Stalin, ein Teil des russischen Imperiums und hat kein staatliches Existenzrecht. Besonders interessant ist das 16. Kapitel dieses Buches, wo mit den Lügen und dreisten Behauptungen aufgeräumt wird, die die russische Propaganda und ihre deutschen Freunde über die Ukraine verbreiten.

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Geschichte Gesellschaft Recht

Offene Fragen

In Sindelfingen gab es am 15. November einen zweieinhalbstündigen Geschichtsunterricht im Odeon, dem Saal der Jugendmusikschule. Gesprochen hat der österreichische Historiker Stefan Karner. Sein Thema: Siegfried Uiberreuther. Er war in den Jahren 1938 bis 1945 der mächtigste Mann der Steiermark und ein gehorsamer Diener seiner nationalsozialistischen Herren. Er hat viele Menschen auf dem Gewissen und war vor auch an der Erstellung des sinnlosen Ostwalls beteiligt, der Tausenden jüdischen Mitmenschen das Leben gekostet hat. In Eva Menasses Roman „Dunkelblum“ lässt sich diese üble Geschichte nachlesen. Uiberreuther hat es nach dem Krieg geschafft, sich der fälligen Strafe zu entziehen. Er floh und galt lange Zeit als verschollen. Manche vermuteten ihn in Argentinien. Erst Jahre nach seinem Tod 1984 wurde öffentlich bekannt, dass er mit seiner Familie in Sindelfingen Unterschlupf gefunden hatte. Die Familie bestand aus seiner Frau, einer geborenen Wegener, die Tochter des berühmten Geowissenschaftlers Wegener, und aus drei Söhnen, die alle in Sindelfingen eine neue Identität bekommen haben. Die Firma Bitzer nahm Uiberreuther, der sich nun Schönharting nannte, als Mitarbeiter auf, die Stadtverwaltung Sindelfingen versorgte ihn mit neuen Papieren. Am Ende der Veranstaltung blieben einige Fragen offen: Warum ging der Kriegsverbrecher aus der Steiermark ausgerechnet nach Sindelfingen? Hat er dort in frommen Kreisen Verständnis für seine mörderische Vergangenheit bekommen? Welche Rolle hat der damalige Oberbürgermeister gespielt, den man auch zu den Frommen im Lande Württemberg zählen durfte? Wer hat sonst noch Bescheid gewusst, den Mund gehalten und sich damit der Strafvereitelung schuldig gemacht?