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Gesellschaft Literatur

Schwedischer Pandemiekrimi

Die Corona-Pandemie bietet den Kriminalschriftstellern reichlich Stoff. Das erfolgreiche schwedische Autorenpaar Börjlind hat sich als Drehbuchverfasser von TV-Serien wie „Kommissar Beck“ einen Namen gemacht. „Die Springflut“ war ihr erster Roman, dem weitere folgten, die zum Teil verfilmt wurden. Mit dem neuen Krimi „Der gute Samariter“ (erschienen 2022 bei btb) tauchen sie tief ein in die Welt der Seuche. Infizierte kommen auf die Intensivstation und ringen dort mit dem Leben, Krankenschwestern und Ärzte opfern sich auf, das öffentliche Leben verarmt. Zwei Morde lösen eine komplizierte Fahndung aus. Die Opfer sind Frauen, Mutter und Tochter. Die Ermittlungen führen in eine Szene, die auch uns in Deutschland vertraut ist, zu den Impfgegnern und ihren zum Teil abstrusen Ideen und Wahnvorstellungen. Die Warnungen vor dem Impfen beschränken sich dabei nicht auf verbale Attacken und Drohungen. Es gibt offenbar eine kriminelle Szene, die der Impf-Angst mit vergifteten Ampullen nachhelfen will. Vier Ermittlerinnen arbeiten die Hand in Hand: Olivia, Lisa, Isidora und Mette. Auch Oskar, der eigentlich mit der Aufklärung von Drogenverbrechen beschäftigt ist, kommt auch noch ins Spiel. Er ist in das Geschehen verwickelt, weil es sich bei den Getöteten um seine Mutter und seine Schwester Sara handelt. Steckt hinter den Verbrechen die Anti-Impf-Mafia? Die beiden Autoren bieten eine zwar komplizierte, aber schlüssige Story. Sie erzählen sie rasant, mit vielen interessanten Nebenfiguren und raschen Szenenwechseln. Die Auflösung des Falles ist plausibel. Ein erhofftes Happyend tritt tatsächlich ein.

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Geschichte Literatur

Hundertjähriger Zeitblick

In der gehobenen Literaturkritik gilt Isabel Allende als „Königin des Kitsches“. Nur das „Geisterhaus“ findet verbreite Anerkennung. „Violeta“ (Roman 2022. Verlag Suhrkamp) hat die Autorin im Alter von 80 Jahren geschrieben. Die Titelheldin ist zugleich die Ich-Erzählerin. Sie ist 20 Jahre älter als ihre Autorin. Hundertjährig schreibt sie für ihren Enkel Colito ihr Leben auf. Die Sprache des Romans ist eher schlicht. Mit wenigen Strichen wird die Landschaft Südamerikas gezeichnet. Umbrüche im Leben und in der Gesellschaft ihres Landes werden eher beiläufig berichtet. Welches Land die Autorin genau meint, bleibt im Unklaren, die geschilderten politischen Skandale passen auf mehrere Staaten Lateinamerikas. Dort hat die Demokratie wenig Chancen. Autoritäre Regime führen ein Schreckensregiment. Menschen werden verschleppt, gefoltert, getötet, die Angehörigen über ihren Verbleib in Unkenntnis gelassen. Violeta ist während der Grippe-Epidemie 1920 geboren. Sie führt zunächst ein unpolitisches Dasein. Die einst wohlhabende Familie del Valle verarmt als Folge einer Wirtschaftskrise. Der Vater bringt sich um. Die Hinterbliebenen ziehen sich aufs Land zurück. Dort nimmt man die Del Valles wohlwollend auf. Violeta lebt dort in einfachen Verhältnissen. Sie heiratet einen Deutschstämmigen, den sie nicht liebt, brennt mit einem attraktiven Windhund durch und bekommt zwei Kinder von ihm. Zusammen mit ihrem Bruder führt sie eine erfolgreiche Firma, die sich auf Fertighäuser spezialisiert hat. Vor allem nach Erdbeben machen sie gute Geschäfte. Der Sohn Juan driftet in die linke Szene ab und muss das Land verlassen. Die Tochter Nieves entwickelt sich zum Ebenbild des Vaters. Sie lebt unstet, gerät in die Drogenszene und bekommt einen Sohn, besagten Colito, dem Violeta später ihre Leben erzählt. Dann stirbt Nieves an den Folgen ihrer Sucht. Violeta übernimmt als Großmutter die Mutterrolle. Sie hat eine soziale Ader und tut viel Gutes. Im Coronajahr 2020 stirbt sie. Ein ambitionierter Roman, dem es recht gut gelingt, 100 Jahre Zeitgeschichte anschaulich zu machen.

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Gesellschaft Literatur

Kaltes Deutschland

Fatma Aydemirs Roman „Dschinns“ (2022) steht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. Ein Dschinn ist in der islamischen Glaubenswelt ein Geistwesen, ein unsichtbares zwar, aber trotzdem von den Menschen wahrnehmbares. Die erste Geschichte in diesem Roman handelt vom Sterben Hüseyins, kurz nachdem er die mühsam ersparte Wohnung in Istanbul bezogen hat. Diese Geschichte wird von einem Dschinn erzählt, ebenso die letzte, bei der wenig später Hüseyins Frau Emine in besagter Wohnung bei einem Erdbeben zu Tode kommt. Beide sind kurdischer Herkunft, verbergen das aber, weil sie Angst vor Verfolgung haben und ihre Kinder nicht in die kurdischen Probleme hineinziehen wollen. Sie haben des Geldes wegen Jahrzehnte in Deutschland gelebt, das in diesem Roman als ein Ort der Kälte und des nationalistischen Fremdenhasses gezeichnet wird. Das Ehepaar hat fünf Kinder. Das älteste Kind ist ein Mädchen, das nach altem Brauch an den Bruder Hüseyins abgegeben wird, weil dessen Ehe kinderlos ist. Emine verwindet diesen Verlust nie. Sevda, die zweite Tochter, wird von der Mutter wenig geliebt. Der Sohn Hakan ist ein Loser mit krimineller Energie, die Tochter Peri bricht aus den Familienkonventionen aus und führt als Studentin an der Universität Frankfurt ein recht freizügiges Leben. Der Jüngste, Ümit, erkennt allmählich seine homosexuelle Orientierung, darf sich aber nicht offen dazu bekennen. Ein Arzt, der eigentlich ein Quacksalber ist, soll ihn von seiner „falschen Haltung“ befreien. Es ist eine sehr komplizierte Familie, von der hier erzählt wird. Ob ihr Denken und Handeln typisch für hiesige türkisch-kurdische Familien sind, weiß ich nicht, bezweifle aber, dass das negative Deutschlandbild von der ganzen türkischen Community geteilt wird.