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Digitales Schneckentempo

Der Fortschritt sei eine Schnecke; diese Erkenntnis ist populär. Auch Günter Grass hat sie vertreten. Er war Ratgeber der sozialdemokratischen Partei. Sie können wir aber in Baden-Württemberg nicht verantwortlich machen, dass es im Land beim digitalen Ausbau im Schneckentempo vorangeht. Nun finden das viele überhaupt nicht schlimm, im Gegenteil, denn das mit den Computern ist sowieso Teufelszeug. Da kann es gar nicht langsam genug bei dessen Einführung gehen.  Bei dieser Meinung finden traditionelle Christen und konservative Grüne in trauter Eintracht zusammen. Sie wollen zurück zur Natur. Daher werden Straßen in Radwege umgewidmet, werden Landschaften vor Masten geschützt, die nur den Vögeln schaden, aber sonst nichts bringen. Unterricht über den Bildschirm? Das kann doch nicht wahr sein. Wenn er nicht im Klassenzimmer sein kann, dann lieber gar nicht. Das verpixelte Bild einer Lehrkraft ist der pädagogischen Zuwendung nicht förderlich. Gestern ging eine Erfolgsmeldung durch die Medien: 90 % aller baden-württembergischen Schulen waren auf den digitalen Fernunterricht nicht vorbereitet. Den neuen Standard der Datenübertragung, irgendwas mit 5, kennt man hierzulande nur vom Hörensagen. Im Kampf gegen den furchtbaren elektronischen Fortschritt kann das Land also Vollzug melden. Es ist ihm gelungen, diesen ekligen Modernisierungsschub abzuwehren. Dazu haben auch jene beigetragen, die den Aufbau einer digitalen Lernplattform erfolgreich hintertrieben haben, indem sie den Auftrag unlösbar formuliert und dann einer unfähigen Firma übertragen haben. Wir können also hoffen, dass es in unserem Land so bleibt, wie es ist. Zum Glück ist der Fortschritt eine Schnecke.

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Schule

Neunjährige Schulzeitgelüste

Jetzt wittern sie wieder Morgenluft, rechnen sich Chancen aus, hoffen auf Änderung, die Fans des neunjährigen Gymnasiums. Sie können nicht genug bekommen vom gymnasialen Unterricht für ihre Kinder, vor allem die erwachsenen unter ihnen. Im Gymnasium müsse man so viel lernen, das sei in acht Jahren nie und nimmer zu schaffen. Dafür brauche man neun, besser sogar zehn Jahre. Eine wissenschaftliche Begründung für diese schulische Wunschfantasie gibt es nicht. Leistungsunterschiede zwischen Acht- und Neunjährigen muss man mit der Lupe suchen. Man wird sie nicht finden. Aber Volljährige in die Schule zu schicken und sie den strengen Anstaltsregeln zu unterwerfen ist barer Unsinn. Das Argument des überquellenden Lernstoffs lässt sich entgegenhalten, dass eine gründliche Überprüfung der Lehrinhalte manches zu Tage fördern würde, was ohne Schaden gestrichen werden kann. Dass 19-Jährige reifer sind als 18-Jährige, bestreite ich nicht. Aber 20-Jährige sind in der Regel noch reifer. Das spräche in der Tat für das zehnjährige Gymnasium. Mein Schlachtruf: Lasst die Finger von diesen G8/G9-Diskussionen. Schaut lieber auf die Finger derjenigen Lehrkräfte, die beim Lehrstoff Spreu und Weizen nicht auseinanderhalten können. Vielleicht reichen sogar sieben Jahre.

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Gesundheit Schule

Neue Normalität

Die einen wollen, dass alles wieder so wird, wie es vor der Seuche war, die anderen erkennen in ihr eine Chance, dass künftig vieles anders wird. Sie meinen damit besser. Soziologen werden in einigen Jahren sagen können, welche Erwartung sich erfüllt hat. Vermutlich wird vieles gleich und manches anders sein. Ein ambivalentes Wortpaar hat sich dazu gemeldet: neue Normalität. In den Schulen kann man sie sich schon vorstellen. In den Rechnern der Rektorate werden zwei Stundenpläne lagern, der normale Plan und der Notfallplan. Neben den Unterrichtsentwürfen für den Präsenzunterricht warten die Materialien für den digitalen Fernunterricht auf ihren Einsatz. Die Notenbildungsverordnung bekommt einen Zusatz, der regelt, wie die Leistungen der zu Hause erbrachten Leistungen in die Gesamtnote eingehen sollen. Das von den Lehrkräften erwartete Verhalten in pandemischen Situationen wird in einer Verwaltungsvorschrift rechtssicher formuliert. Im Keller der Schule stehen Kartons mit gesichtsbedeckenden Masken, der Schulhof ist per Graffiti in Zonen eingeteilt, in den Klassenzimmern oder in den Fluren wird man mehr Schränkchen sehen, für jeden Lernenden eines. In den Umkleideräumen der Sporthallen findet man auch welche. Sie sind nach jedem Gebrauch zu reinigen. Aber von wem? Der Schwamm zum Tafelputzen wird zum Problem werden und möglicherweise verschwinden. Er war schon immer eine Brutstätte für Keime. Vielleicht fallen die Tafeln überhaupt dem Virus zum Opfer und müssen Whiteboards weichen. Lehrkräfte mit vulnerablen Eigenschaften müssen wieder arbeiten, aber sie werden jede Woche getestet. Die Gewerkschaften werden dies als diskriminierend geißeln. Die Betroffenen arbeiten an ihrem vorzeitigen Ruhestand. Das erhöht die Chancen der Lehramtsanwärter. Nach einem Jahr etwa wird die neue Normalität so gut wie vergessen sein, wenn das Virus mutiert ist und keine Lust mehr hat, sich zu vermehren.