Kategorien
Politik

Übertölpelt – Diskussion über Religionsfreiheit

Die Diskussion über das unglückliche Schweizer Minarett-Votum zeitigt merkwürdige Aussagen. So steht auf der Titelseite der heutigen Ausgabe von Sonntag Aktuell (6.12.09) eine Überschrift der besonderen Art: „Iran kritisiert Schweiz“. In dem Artikel wird der iranische Außenminister zitiert, der die Schweizer Regierung auffordert, das Ergebnis der Volksabstimmung rückgängig zu machen, da sonst die „krankhafte Furcht vor dem Islam“ wachse und die „Spannungen zwischen dem Islam und dem Christentum“ verschärft würden.

Nun will derlei kein vernünftiger Mensch, nehme ich mal an. Jeder verantwortungsvoll denkende Bürger befürwortet ein friedliches Zusammenleben der verschiedenen Kulturen und Religionen. Nur: ist der Iran befugt, so etwas den Westeuropäern ins Stammbuch zu schreiben? Ausgerechnet der Iran, wo es mit der Religionsfreiheit schlimm steht, wo religiöse Minderheiten, seien sie muslimisch oder christlich, unterdrückt werden, wo alle, die nicht der Staatsreligion angehören, Bürger zweiter Klasse sind? So kann man den Aufruf zur Toleranz, der an sich zu begrüßen ist, ins Absurde ziehen und damit in sein Gegenteil verkehren.

Hättest du geschwiegen, lieber iranischer Minister, so hättest du dem, was du zu erreichen vorgibst, was wir alle erreichen wollen, mehr gedient. So aber gerät der Appell an die Schweiz zur zynischen Attacke auf alle Wohlmeinenden. Denn damit schürt der Iraner genau das, was er angeblich entschärfen will, das Misstrauen der „westlichen“ Bürger gegenüber der „anderen“ Religion, die Angst vor ihrem Missionsdrang und die Sorge um den Verlust an eigener kultureller und religiöser Identität.
(Blog-Eintrag Nr. 118)

Kategorien
Politik

Übervorteilt – Proteste der Betroffenen

Zuerst die Schließung der Hauptschule am Klostergarten, dann die Verlagerung der C-Klasse nach Bremen und dann? Sindelfingen beginnt die verschiedenen Krisen zu spüren. Aber die Krise der Stadtkasse und die des Autobauers sind nur zwei Seiten einer Krisenmedaille. Zuerst hat die Firma mit dem Stern durch ihre exorbitante (rechtlich allerdings unstrittige) Steuerrückforderung den städtischen Etat zerschlagen, nun haut sie mit dem (ökonomisch offenbar rationalen) Abbau ihrer Produktion am „traditionellen Standort“, wie man ihn gerne nennt, die ganze Region in Stücke.

Sindelfingen müsste keine Schulen schließen (der Hauptschule wird eine Grundschule und wohl auch irgendwann ein Gymnasium folgen) und es müsste auch nicht die Betreuung in den Kitas verschlechtern, wenn „der Daimler“ nicht schwächelte. Denn das tut er schon länger. Diese riesigen Autos können sich in Zeiten wie diesen immer weniger Menschen leisten.

Die Krise kommt nicht erst 2014, wenn die C-Klasse weg ist, wir haben sie bereits. Der Einzelhandel, die Auto-Zulieferer, die Leute im Rathaus, wir alle spüren sie deutlich. Sindelfingen wird zum Symbol der baden-württembergischen Wirtschaftsmisere. Wie gut für den Herrn Ministerpräsidenten, dass er nach Brüssel gehen darf. Ein sinkendes Schiff verlassen zu können und dafür auch noch gute Gründe zu haben („Brüssel braucht mich“) – was kann ein Politiker mehr wollen?

Die Proteste gegen die Hauptschulschließung und den C-Verlust dauern an. Die Fachleute sagen in beiden Fällen, dass dies an beiden Entscheidungen nichts ändern wird. Mächtige Proteste als Zeichen der Ohnmacht?
(Blog-Eintrag Nr. 117)

Kategorien
Politik

Überfällig – evangelische Kirchenreform

Die beiden großen christlichen Kirchen klagen über die hohe Zahl der Austritte. Bald kann man nicht mehr von „Volkskirchen“ reden. Deren Zeit scheint, wie auch die der „Volksparteien“, vorbei. Zu sein. Ein unumkehrbarer Trend? Eine unausweichliche Entwicklung? Ein unabwendbares Schicksal? Warum verlassen die religionsmündigen (über 14 Jahre alten) Bürger „ihre“ Kirche? Sie empfinden sie offenbar nicht mehr als ihre. Warum nicht?

Gerne wird auf die ökonomische Seite verwiesen. Die Kirchensteuer ist nicht gerade niedrig; sie wird automatisch vom Gehalt abgezogen. Das Geld fehlt. Wer kurzarbeitet, merkt das. Neuerdings werden bei Kapitalerträgen nicht nur die Abgeltungssteuer und der Solidarzuschlag, sondern auch die Kirchensteuer gleich mit abgebucht. Dagegen kann man sich nur schützen, wenn man seinen Austritt aus der Kirche erklärt.

Aber die Geldfrage erklärt nicht alles. Auch nicht die ebenfalls das Ökonomische berührende Frage nach dem Verhältnis von Preis und Leistung. Was zahle ich, was bekomme ich dafür? Wer nicht arm ist und einer kirchlichen Einrichtung sein Leben verdankt, nicht in den Gottesdienst geht, nicht heiratet und keine Kinder taufen lässt, bekommt so gut wie nichts zurück, außer der kirchlichen Bestattung am Ende seiner Tage.

Ich behaupte, man geht aus der Kirche, weil man nichts mehr von ihr erwartet. Die protestantische Kirche ist in ihrer gepflegten Routine, ihrer starren Struktur und ihrer langweiligen Außendarstellung nicht attraktiv. Sie spricht die Menschen nicht an – in doppelter Hinsicht. Sie äußert sich kaum oder unverständlich; ihre Botschaft, das Besondere, was sie zu verkündigen hat, bleibt oft in überkommenen Formeln stecken. Sie weist keine Wege oder ihre Wegweisung wird nicht wahrgenommen.

Heute allerdings (2.12.09) lese ich, dass der evangelische Dekan von Böblingen an der gestrigen Demonstration der Sindelfinger Daimler-Mitarbeiter teilgenommen, dort gesprochen und dafür auch Beifall bekommen hat. Es geht also auch anders.
(Blog-Eintrag Nr. 116)