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Undurchsichtiges G-Spiel

Die Sozialdemokraten des Landes Baden-Württemberg wollen mit einer Kampagne gegen das achtjährige Gymnasium in der Wählergunst punkten. Das ist ihr gutes Recht. Nur sollte man ihnen – wie allen Parteien in dieser wahlkämpferischen Zeit – bei derlei Bemühungen etwas genauer auf die Finger schauen. Die jüngst veröffentlichte Umfrage über die Akzeptanz von G 8 ist nach meiner Einschätzung allerdings nicht geeignet, das Vertrauen in die Solidität der SPD-Bemühungen zu stärken.

In der repräsentativen Umfrage wurde gefragt, wer für die Wiedereinführung des neunjährigen gymnasialen Bildungsgangs sei. Die Antwort: 70%. Da stellen sich nun doch einige Fragen: Wurden dabei nur Menschen gefragt, die etwas mit dem Gymnasium zu tun haben oder Vertreter der gesamten Bevölkerung? Wurde mitgeteilt, was die Kosten eines erneuten Wechsels vom acht- zum neunjährigen Gymnasium wären und welche Folgen das hätte? Wurde den Befragten gesagt, wie sich das Nebeneinander von G 8 und G 9 in einer Schule auswirken würde?

Aber will die SPD tatsächlich das neunjährige Gymnasium wieder einführen? So könnte man sie verstehen, aber sie tut nur so. Auf ihrer Homepage verrät sie, was sie tatsächlich will: G 3 oder G 6. Das heißt: Sie will eine zehnjährige Gesamtschule und danach noch drei Jahre Gymnasium (G 3). Alternativ schlägt sie sechs Jahre Grundschulzeit vor; danach könnte ein sechsjähriger gymnasialer Bildungsgang beginnen (G 6).

Wie stellt sich die SPD ein solches drei- oder sechsjähriges Gymnasium vor? Das erfahren wir nicht. Wir erfahren nur: Keine Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium, sondern alles soll ganz anders werden; denn – so ist die Logik – was anders ist, ist besser als das, was wir jetzt haben. Dass man aber Neues und anderes erst erproben müsste, um die positiven und negativen Auswirkungen einer solchen Reform herauszufinden, das wird den Wählern nicht gesagt.

Da wäre es doch einfacher und kostengünstiger, die noch bestehenden G-8-Probleme zu beheben, so (wo) es welche gibt.

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Unstimmige Metapher 2: Milliardenloch

Der Bundespräsident hat uns wissen lassen, dass es mit unserem Staatshaushalt wegen des „Milliardenlochs“ ein Problem gebe. Ich verstehe das auf Anhieb: Es gibt ein gewaltiges Defizit bei den Staatsausgaben. Es wird mehr ausgegeben als eingenommen. So ist ein Loch in der Kasse entstanden, bildlich gesprochen.

Es gibt vielerlei und sehr reale Löcher. Wühlmäuse verschwinden in einem Loch in der Erde, einem Erdloch. Ein Loch im Eis, das könnten wir ein Eisloch nennen, zu einem in der Luft – das soll es geben, behaupten Fluggäste – sagen wir Luftloch.

Was ist ein Loch? Ein Loch ist da, wo nichts ist, wo etwas fehlt. Ein Loch ist im Eimer, im Strumpf, im Zaun. Das kann man, das muss man reparieren, indem man es stopft. Auch das Loch in der Staatskasse muss gestopft werden.

Aber was ist ein Milliardenloch? Dieses zusammengesetzte Substantiv – die Grammatiker sprechen von einem Kompositum – ist schwer aufzulösen. Es ist kein Loch aus Milliarden; denn dann wäre dort (im Loch) etwas (Milliarden), wo angeblich nichts ist.  Es ist auch kein Loch in den Milliarden, denn dann wäre ja noch einiges um die Milliarden herum da und nur an der Stelle, wo das Loch ist, gäbe es Probleme.

Das Loch, von dem der Präsident redet, ist, wie gesagt, die Folge von zu wenig Steuereinnahmen und zu viel Staatsausgaben.  Es wurden viele Milliarden Euro ausgegeben und das führte zu einem metaphorischen Loch. Real fehlt gar nichts. Das Geld wurde ausgegeben; es war also da, denn man kann nicht etwas ausgeben, was nicht da ist. Der Finanzminister hat das Geld, das nun fehlt, erzeugt und damit das Loch geschaffen – es aber sofort wieder gestopft, und zwar durch Kredite, die der Staat aufgenommen hat. Denn auch der Staat kann nur ausgeben, was er hat. Das verbindet ihn mit uns gewöhnlichen Sterblichen. Nur beim Stopfen von Löchern tun wir uns schwerer.

Wir haben also kein Milliardenloch, sondern der Staat hat Schulden in Milliardenhöhe, er ist „milliardenschwer“ verschuldet, er steht “in der Kreide”, er muss das Loch im Etat, das vorläufig mit Krediten gestopft wurde, wieder richtig füllen. Mit einem Milliardenberg Euro aus Steuern?

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Unstimmige Metapher 1: Talsohle

Krisen bringen ihre eigenen Sprachbilder hervor. Unsere derzeitige hat uns schon allerlei beschert, zum Beispiel das Schnüren von Paketen. Das hat einen hoffnungsvollen Klang; denn wer erhält nicht gerne ein Paket, vor allem dann, wenn es ein Geschenk enthält?

Da in Krisen nichts wichtiger ist als die Hoffnung, geht es nun darum, sie anschaulich zu machen. Dafür haben sich die sprachlichen Meinungsmacher die Talsohle ausgedacht. Die, so erfahren wir, sei in Sicht.

Unter einer Talsohle versteht man den „Boden“ eines Tales, also den Teil, der bei einem landschaftlichen Einschnitt ganz unten ist. Dort fließt auch der Bach, der das Tal ausgeschnitten und geformt hat. Allerdings bedeutet das: ein Tal ist nicht eben, sondern schief, es muss sich nach unten neigen, wie sonst könnte das Wasser fließen? Die Talsohle hat ein unterschiedliches Höhenniveau. Wenn sie also „in Sicht“ ist, an welchen Abschnitt sollen wir denken, den unteren oder den oberen, von dem aus es noch einige Zeit weiter abwärtsgeht?

Die andere Frage, die mich bei dieser Metapher bewegt, ist der Standort des Betrachters. Die Talsohle sieht man von oben am besten. Vom Berg aus kann man auf sie hinunterschauen. Von dort aber ist der Weg ins Tal oft noch recht weit. Die Talsohle in Sicht zu haben, sagt also leider nichts darüber aus, wann man sie nach einem langen und mühseligen Abstieg endlich erreicht haben wird.

Und so verwandelt sich das vermeintlich tröstliche Bild beim Blick auf unsere Krise in ein eher beängstigendes. Wir sehen offenbar aus der Ferne (schon!?) das Ende von ihrem Wachsen, aber wie weit es noch ist, bis sie ihren Höhepunkt, genauer: ihren Tiefpunkt, erreicht hat, bleibt ungesagt.

Was in meinen Augen aber noch schlimmer ist: Wer kann uns versprechen, dass „die Wirtschaft“, wenn sie denn schließlich „ganz unten“ in der Talsohle angekommen ist, wieder den Weg nach oben einschlägt?