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Wahlvolk

Der Kampf um die beiden Stimmen ist hart. Allerdings ist die mediale Perspektive ziemlich schief. Optisch im Vordergrund stehen die Parteien und ihre Kandidaten. Sie beharken sich vor laufender Kamera und wollen so auf sich aufmerksam machen. Die Hauptpersonen dieses Ereignisses, die Wähler, sitzen auf der Tribüne und beklatschen oder bebuhen den Auftritt der Matadore. Sieht so ein Souverän aus, einer auf den es ankommt? Das kann man so deuten. Dann wäre die Tribüne eine Art Königsloge. Merkwürdig ist nur, dass die Demoskopen ständig darauf hinweisen, dass über ein Drittel der Wähler noch unentschlossen seien. Haben die Schaukämpfe sie nicht überzeugt? Oder halten sie sich bedeckt, weil es die Demoskopen nichts angeht, wem ich meine Stimmen gebe. Nimmt die Briefwahl vielleicht deshalb zu, weil man am Ausgang des Wahllokals nicht nach seiner Wahlentscheidung befragt werden will? Ich bin alt genug, mich an Zeiten zu erinnern, in denen das Ergebnis der Bundestagswahl nicht schon vor dem Wahltag bekannt war. Damals hing man am Radio und registrierte die Einzelergebnisse. Und am nächsten Morgen konnte man die Zusammensetzung des neuen Parlaments schwarz auf weiß in der Zeitung lesen. Ich finde, die Wahlen verkommen zu Medienevents. Ich fühle mich nicht mehr als Teil des Wahlvolks oder gar als Souverän, sondern als Teil eines Algorithmus, als bloße Zahl, als Objekt der Parteien, nicht als Subjekt eines demokratischen Prozesses.

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Der Wahlkampf und das Duellieren

Einst waren Duelle etwas Gefährliches. Es wurde mit echten Waffen geschossen. Am Ende lag einer tot oder verletzt im Gras, umsorgt vom Sekundanten. Der Sieger musste sich eine Weile verstecken oder gar eine Gefängnisstrafe absitzen. So schlimm geht es bei den TV-Duellen im Bundestagswahlkampf nicht zu. Man schießt mit Worten. Verletzungen gibt es kaum. Dafür sorgen die Moderatoren.

Das Wort Duell will den Zuschauer an den Fernsehapparat locken. Dort darf er zusehen, wie wichtige Politiker auf Fragen antworten, die ihnen ebenso wichtige Journalisten stellen. Die Antworten leuchten eigentlich alle auf Anhieb ein, denn sie sind werden mit Überzeugung vorgetragen, sind wohlüberlegt und mit Fakten unterstützt. Gerne würde man über sie nachdenken, aber dazu ist keine Zeit, denn schon steht die nächste Frage an. Manchmal versteht man die Antwort nicht, weil sie zu kompliziert ist. Dann würde man gerne nachfragen, wie sie gemeint ist und wie die Dinge zusammenhängen. Oft versteht man die Antwort deshalb nicht, weil alle durcheinanderreden. Dann fühlt sich das Duell an wie ein modernes, absurdes Theaterstück an. Am Ende ist man zwar nicht klüger, aber man hat einem unterhaltsamen Sprachspiel zugesehen. Gewonnen hat der, den ich schon vorher sympathischer fand.

Nach langen Jahren in der Erwachsenenbildung kommt der Verfasser zu der Erkenntnis, dass auch dem Fernsehen ein paar Hinweise zur Didaktik von Fernsehduellen guttäten. Wissen sie dort überhaupt, für wen sie solche Sendungen machen?

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Die Presse und der Wahlboykott

Offenbar fällt ihnen nichts Besseres mehr ein: Unsere Journalistenzunft spielt mit dem Thema „Wahlboykott“. Das wäre doch mal was Neues, so der Tenor in den Gazetten, in der ZEIT und heute (am 13.8. – ausgerechnet am Tag des Mauerbaus) auch in der Stuttgarter Zeitung. Man hält das wohl für ein Zeichen der ganz besonderen Art, wenn man einfach nicht zur Wahl geht. Das ist es aber nicht; diese Idee hatten bei den letzten Wahlen schon mehr als genug. Die Beteiligung daran lag zum Teil unter 50%. Nichtwählende Journalisten fänden sich also in guter (oder besser: schlechter) Gesellschaft.

Mir bereitet dieses Gerede vom Nichtwählen heftiges Bauchgrimmen. Als einer, der keine einzige Wahl im letzten halben Jahrhundert versäumt hat, erlaube ich mir zu sagen, dass ich dieses Geschreibsel vom Boykottieren der Wahl für verantwortungslos halte. Und es ist zynisch, wenn gerade jene, die täglich ihren Beitrag dazu leisten, das politische Geschäft abscheulich zu finden, die jede Woche ein anderes Skandalthema auspressen, die sich alle Tage vom hohen Ross herab als die Besseren, Klügeren, Wichtigeren gerieren, wenn ausgerechnet diese Gruppe der sich unantastbar Fühlenden vom Wahlboykott faselt.

Nicht nur, dass sie dadurch die extremen Parteien stärken, nicht nur, dass sie die Tendenz befeuern, dass die Politiker in ihrer Angst vor dem Wähler diesem noch mehr nach dem Munde reden, sie graben sich auch selbst das Wasser ab, weil sie mit dieser Haltung ihr eigenes informatorisches Versagen zugeben.

Man begründet den Wahlboykott gern damit, dass die Politik die großen Themen verdränge und sich um unbequeme Antworten drücke. Wenn das so ist, dann insistiert doch auf euren Fragen! Und wenn ihr mal eine Antwort bekommt, die in euren klugen Augen nicht zureicht, dann bohrt halt nach! Zeitungen, die mir raten, nicht zu wählen, wähle ich ab.