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Schuldzuweiser

Es ist immer gut, wenn man jemanden hat, dem man die Schuld an der eigenen Misere zuschieben kann. Im Kampf um die Deutungshoheit in der griechische Affäre haben sowohl die Hellenen als auch die Philhellenen endlich den gefunden, der sich als Sündenbock eignet. Es ist der Schäuble, den Tsipras gerne „Herr Dr. Schäuble“ nennt. Hierzulande sind es die Linken, die Grünen und die Roten, die in ihm den Missetäter erkannt haben und nun beim Wähler punkten wollen, indem sie auf ihn eindreschen. Die mediterrane Welt und auch die lieben Franzosen tun gerade so, als sei der Grexit nie ein Thema gewesen und es geradezu unanständig, darüber (öffentlich) nachzudenken. Ob Schäubles Plan ein taktischer war oder ob es sich um eine diplomatische Ungeschicklichkeit handelt, er hat es jedenfalls geschafft, dass die Griechenversteher und Deutschlandhasser endlich aus ihrer Ecke kommen. Ein Luxemburger Minister drückt es heute in der Zeitung vornehmer, aber dennoch deutlich aus: Die Deutschen sind doch so furchtbar mächtig, das müssen sie nicht auch noch zeigen. Wieder einmal bestätigt sich das Klischee, dass der wohlhabende Onkel sich als Objekt der Abneigung ganz besonders gut eignet. Und nun, was tun? Sollen wir beleidigt sein? Sollen wir noch großzügiger als Geldgeber agieren? Sollen wir uns darüber aufregen, dass man unsere Waren boykottieren will? Nein. Es genügt, dass wir uns klar machen, wie dünn die Eisschicht ist, auf der wir uns bewegen. Wir werden noch Jahrzehnte damit leben müssen, dass sich die Welt an die nationalsozialistischen Untaten erinnert. Die Rolle als Liebling der Weltgemeinschaft ist Deutschland verwehrt. Aber es gibt Schlimmeres.

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Zugehörigkeit

Nun, nach Wulff und der Kanzlerin, sagt es auch Kretschmann, dass der Islam zu Deutschland gehöre. Was wollen sie damit ausdrücken? Auf den ersten Blick etwas völlig Banales. Zu Deutschland gehören Rhein und Elbe, der Schwarzwald und der Bodensee, Bayern München und Werder Bremen, CDU und SPD, Christen, Juden und Muslime. „Gehören zu“ bedeutet „Teil sein von etwas“. Zu einer normalen Wohnung gehört ein Bad, zu einem Auto eine funktionierende Bremse, zu einem Fest ein gutes Essen.

Warum also die Aufregung über den Islam-Satz? Offenbar sieht man in ihm mehr, als er zum Ausdruck bringt. Er impliziert für manche die Aussage, dass der Islam ein Teil der deutschen Identität sei, dass er zu unserer religiösen und politischen Grundausstattung gehöre wie das Christentum, die Demokratie und die im Grundgesetz verankerten Menschenrechte. Damit aber hakt es. In der Verfassung des Landes Baden-Württemberg wird zwar das Christentum genannt, aber nicht der Islam, nicht das Judentum und auch nicht der Atheismus. Aber es gibt diese Religionen bei uns. Sie genießen den besonderen Schutz der Verfassung, sie sind zu tolerieren, zu achten, zu schützen. Sollen sie auch in die Verfassung aufgenommen werden? Es sieht so aus, als näherten wir uns einer großen Koalition für die Erweiterung und Umformulierung des Grundgesetzes und der Länderverfassungen. Das Vorgeplänkel dazu findet bereits statt.

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Deutschland und der 17. Juni

Die Überschrift erinnert an eine Zeit, in der alles noch an seinem Platz war. Wir hatten Angst vor einem Krieg, aber das „Gleichgewicht des Schreckens“ hat uns – das darf man auch als Kriegsdienstverweigerer im Rückblick zugeben – vor ihm bewahrt. Wir haben am 17. Juni an den Volksaufstand in der DDR gedacht, uns mit den „Brüdern und Schwestern“ jenseits des Eisernen Vorhangs wenigstens einen Tag lang solidarisch gefühlt, ansonsten uns aber des bundesrepublikanischen Wohlstands erfreut. Wir haben über viele Probleme gejammert: die Inflation, die zunehmende Arbeitslosigkeit, die steigende Zahl von Verbrechen, die Asylanten, den Verlust des gymnasialen Niveaus durch die wachsende Übergangsquoten.

Wenn wir uns daran erinnern, müssten wir ins Lächeln kommen. Drei Beispiele: Der SPD-Politiker Schmidt sagte einmal: „Lieber 5% Inflation als 5% Arbeitslosigkeit.“ Wie klingt das heute? Die Übergangsquote aufs Gymnasium näherte sich in Sindelfingen den 35%; derzeit liegt sie bei 59%. Was ein Asylant ist, weiß heute keiner mehr so recht, heute reden wir von Migranten. Einst ging es um ein Dutzend Asylbewerber je Gemeinde, heute in manchen Schulklassen um Migranten-Anteile von über 50%

Am heutigen 17. Juni soll sich in Griechenland entscheiden, ob oder wie es mit Europa weitergeht, in Frankreich werden die Sozialisten gewinnen und der unbeliebten Sparpolitik den Garaus machen und die Kanzlerin kann sich schon mal überlegen, ob sie Europa „um jeden Preis“ retten soll (was „die Welt“ von ihr erwartet) oder ihre schützende Hand auf die Staatskasse legen (was eine Mehrheit der Deutschen von ihr erwartet). Recht machen wird sie es keinem. Europa steht vor dem Abgrund, sagen die Auguren. Können wir ihn balancierend überwinden wie vorgestern der Artist die Niagara-Fälle?