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Eskalierende Gewalt

Jetzt tun sie so, als sei die nächtliche Gewaltexplosion in Stuttgart aus heiterem Himmel gekommen. Dabei hat sie sich schon länger abgezeichnet. Haben wir nicht mehrfach von Übergriffen gegen die Polizei und gegen Hilfskräfte bei Rettungseinsätzen gehört? Haben sich nicht bei den Anti-Shutdown-Demonstrationen die Rebellierenden immer uneinsichtiger gezeigt? Ist nicht mit den Exzessen am Rande der Anti-Rassismus-Proteste ein Muster vorgeführt werden, an denen sich die „Gewaltbereiten“, die es auch hierzulande gibt und immer gegeben hat, orientieren konnten. Es hat etwas Naives, wohlwollend von Wutbürgern zu reden und sich dann höchlichst zu wundern, wenn bei manchen Wütenden die Wut ausbricht. Damit man mich nicht missversteht: Das Recht auf Demonstration ist ein hohes Gut. Es zu schützen ist die Aufgabe der staatlichen Ordnungskräfte. Aber Angriffe auf jene, die das Gewaltmonopol haben, sind rechtlich und auch moralisch nicht begründbar. Widerstand gegen die Staatsgewalt ist in einem Rechtsstaat eine Straftat. In den Köpfen derer, die Polizisten angreifen und Privateigentum zerstören, ist nicht nur eine Schraube locker, es stimmt deren ganzes Wertesystem nicht. Man muss den Verantwortlichen vorwerfen, dass sie die Zeichen der Zeit und das Zusammenbrauen des Sturms nicht rechtzeitig erkannt haben. Und man muss der Gesellschaft ankreiden, dass sie mit klammheimlichem Wohlwollen und leichtsinnigen Kommentaren diese Entwicklung begünstigt hat. Jetzt ist jedermann empört, auch Häckerling, aber das reicht nicht aus, um die Fehler der Vergangenheit, die Blindheit und die Neigung zur Verharmlosung, zu tilgen. Es geht jetzt um Bestrafung, ja, es geht aber auch um die Rückbesinnung auf das, was eine Demokratie ausmacht und den Kampf gegen jenes Denken, das sie zerstört. Wenn wir Regeln der Demokratie mit dem gleichen Nachdruck durchsetzen würden wie die Hygieneregeln, wäre manches besser.

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Burundi

Wie beschreibt man einen Bürgerkrieg, in dem etwa eine Million Menschen Opfer von Gewalt geworden sind? Faye erzählt diese afrikanische Geschichte aus eigenem kindlichem Erleben. Er ist zwölf Jahre alt, als die Massaker in seiner Heimat Burundi eskalieren. Lange meint er, mit dem Streit zwischen den Eingeborenen, den Hutu und Tutsi, nichts zu tun zu haben, steht er doch als Teil einer privilegierten Familie (zunächst) außerhalb des Konflikts. Der Vater ist Franzose, die Mutter zwar eine Tutsi, aber mit französischer Staatsbürgerschaft. Sie leben in einem „besseren“ Vorort der burundischen Hauptstadt Bujumbara, idyllisch gelegen am Tanganyika-See. Gaby, wie der Ich-Erzähler Gabriel genannt wird, wächst im Wohlstand auf, in einem geräumigen Haus mit einheimischen Dienern. Er trifft sich oft mit seinen Freunden aus der Nachbarschaft. Dann zerbricht die Ehe der Eltern. Auch die gesellschaftliche Ordnung beginnt allmählich zu zerfallen. Es bilden sich Jugendbanden, die das Leben der Einwohner bedrohen und vor Gewalt gegenüber denen mit „anderer Herkunft“ nicht zurückschrecken. Immer näher rückt das Grauen. Es trifft die Dienerschaft, Bewohner der Nachbarschaft, Bekannte, Verwandte, die Mutter. Gaby flieht ins Lesen, eine Nachbarin leiht ihm Romane aus. Aber dann funktioniert auch das nicht mehr. Auch er gerät in die Mühlen der Gewalt. Der Roman, der so heiter begonnen hat, endet im Grauen des Völkermords. Die Geschichte wird rückblickend erzählt. Inzwischen lebt der Erzähler (wie auch der Autor) in Frankreich, trauernd um die verlorene Heimat. Das Buch nimmt uns hinein in ein Geschehen, das wir als Nachrichtenkonsument in den 1990er Jahren nur distanziert von außen betrachtet haben. – Gaël Faye: Kleines Land. Roman 2016. Verlag Piper

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Gewaltbereitschaft

Der G-20-Gipfel ist ein Hype. Man kann die wichtigsten politischen Führer beim Lächeln und Händeschütteln sehen, aber auch verhandelnd in einem Saal. Sie setzen sich in Szene. Was hinter den Kulissen geschieht, hoffentlich Sinnvolles, bleibt dem Tagesschauschauer unsichtbar. Aber so geht Politik. Dazu kommen die Im Hintergrund und vor allem nachts Arbeitenden, jene, die Merkel gerne die Sherpas nennt. Sie tragen das Gepäck und offenbar auch die Verantwortung, dass am Ende ein formuliertes Ergebnis steht, das sich als Erfolg vermarkten lässt. Doch es wird immer deutlicher, dass die Bilder von brennenden Autos, Wasser werfenden Fahrzeugen, in Gruppen rennenden Polizisten die gewünschten Bilder, die mit den über die Zukunftsfragen streitenden Politiker, verdrängen. Diese Gewalt-Bilder sind auch viel eindrucksvoller, sie gehen unter die Haut, schüren die Angst, lehren die Zuschauer das Gruseln. Welcher Medienmensch könnte ihnen widerstehen? Auf diese Weise lässt man die Gewalt siegen. Das Wort „Gewaltbereitschaft“ wird damit immer doppeldeutiger. Anstatt die hirnlosen, vermummten Chaoten in die Unsichtbarkeit zu verbannen, zeigt man sie willfährig, gibt ihren Gewaltakten ein mediales Forum und befördert so jene Dummheit ins Rampenlicht, die nichts, aber auch gar nichts mit demokratischer Auseinandersetzung zu tun hat. Die Gewaltbereiten siegen. Traurig.