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Oberstufenreformreform

Was den Protestanten mit der Reformation nicht gelingt – sie als Prozess zu verstetigen –, das schafft die baden-württembergische Schulverwaltung locker: die Oberstufe ständig zu reformieren. Als die „Reformierte Oberstufe“ einst (in den 1970er Jahren) in die Fläche ging, hatte die Erstauflage keine lange Laufzeit. Bald wurden die Möglichkeiten, Fächer in fünfstündigen Leistungskursen zu kombinieren, eingeschränkt. Alle zwei, drei Jahre drehte man an Stellschrauben. Bald überblickten nur noch die Spezialisten (die Oberstufenberater) den Stand der Dinge und irgendwann hatte man die Nase voll von den Grund- und Leistungskursen und erfand die vierstündigen „Schwerpunktkurse“ und „Neigungskurse“. Allerdings mussten und müssen dabei Deutsch und Mathematik auch ohne jede Neigung besucht werden. Sie gehörten, fanden die Schulpolitiker, zur Grundbildung, der sich kein Schüler entziehen dürfe. Aber nun geht die Zeit dieser vierstündigen Kurse zu Ende. Heute kündigt das Kultusministerium in der Presse eine neue Reform der Oberstufe an. Es soll wieder fünfstündige Leistungskurse geben. Davon verspricht man sich eine Leistungssteigerung beim Abitur. Häckerling konstatiert, dass man sich in der Schulpolitik mal wieder von Strukturveränderungen Besserung verspricht. Dabei weisen die Bildungsforscher seit Jahren gebetsmühlenartig darauf, dass die Schulstruktur kaum einen Einfluss auf die Leistungen der Schüler hat. Die lassen sich nur mit einem besseren Unterricht steigern. Wann endlich werden die Verantwortlichen auf jene hören, die sie dafür bezahlen, dass sie ihnen sagen, was zu tun ist? Aber Änderungen des Systems fallen offenbar leichter als Änderungen im Unterrichtsalltag.

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Achterbahn

Dieser Blog hat sich schon mehrere Male mit dem G8-G9-Thema beschäftigt. Es ist Häckerling nachgerade langweilig, immer wieder darauf hinweisen zu müssen, dass dies eine Debatte von vorgestern ist. Den neuerlichen Anlass, sich mit der Sache doch abermals zu beschäftigen, hat das baden-württembergische Kultusministerium geliefert. Es ließ doch tatsächlich die beiden Gymnasialwege vergleichen. Und was kam dabei heraus? Was wir alle schon längst wissen: Der Unterschied ist, wenn man vom Ergebnis ausgeht, minimal. Und auch das oft bemühte Argument, die armen Kursschüler hätten keine Zeit mehr für andere Beschäftigungen, hat sich laut dieser Studie in Luft aufgelöst. Was bleibt also? Dass es einfach schön wäre, länger in die Schule zu gehen? Wir Älteren, die wir als Lehrer jahrzehntelang G9 erlitten haben, können ein Lied davon singen, welche Zeitverschwendung und welche Schulverdruss sich zum Ende aufgebaut hatte. Die längere Zeit wurde nur von wenigen sinnvoll genutzt. Viele volljährige Gymnasiasten hatte Besseres zu tun, als die Schule mit ihrer Anwesenheit zu beehren. Nun weiß also der Kultusminister, warum er es bei 44 G9-Gymnasien belassen will. Aber seine Partei, die SPD, weiß es deshalb noch lange nicht. Ich unterstelle ihr nicht, dass sie mit G9 Wähler gewinnen will, denn mit dieser G-Achterbahn-Fahrt wird sie keinen Erfolg haben. Hakt das Thema ab!

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Alltagskompetenz

Eine Gymnasiastin hat sich auf Twitter beklagt, dass sie zwar Gedichte interpretieren könne – in vier Sprachen sogar (Glückwunsch!) –, aber keine Ahnung von den Finanzen habe, nichts von Steuern wisse und auch sonst im Praktischen ziemlich unbedarft sei. Da regt sich in einem alten Lehrer Mitleid und Ärger. Die Ahnungslosigkeit mancher Schülerinnen und Schüler beim Ausfüllen von Formularen und anderen Alltäglichkeiten hat eine lange Tradition. Sie ist eine Folge der Schonung, die man ihnen von allen Seiten angedeihen lässt, daran, dass Ihnen vieles von dem abgenommen wird, was sie lernen würden, wenn sie es denn tun müssten.

Um es klar auszudrücken: Die Vermittlung alltagspraktischer Fähigkeiten ist, meiner Überzeugung nach, nicht die Aufgabe der Schule. Von Gymnasiasten, die sich selbst beigebracht haben, komplizierte technische Geräte zu bedienen, die modische Sonderangebote wahrzunehmen verstehen, die sich in verschiedenen Sprachen ein alkoholisches Getränk bestellen und sogar ohne fremde Hilfe twittern können, von denen kann, ja muss man verlangen, dass sie sich die im realen Leben benötigten Fertigkeiten selbst aneignen.

Die Aufgabe besteht schlicht darin, diesen oft so begabten jungen Menschen mehr abzuverlangen. Wenn ihnen die Lehrer den Kauf der Lektüre für den Unterricht abnehmen, wenn die Mütter für sie die Schreibwaren besorgen, wenn die Väter ihnen nichts über die Krankenkasse sagen, wenn sie kein Essen vorbereiten, kein Geschirr abspülen, keinen Automaten bedienen, kein Konto führen müssen (usw.), dann darf man sich über ihr praktisches Unvermögen nicht wundern.