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Verstummte Autoren

Zwei Vertreter der israelischen Literatur sind 2018 gestorben: Amos Oz und Aharon Appelfeld. Oz war der Chronist des neuen Staates und sein kritischer Begleiter. In seiner Lebensgeschichte, die von „Liebe und Finsternis“ geprägt ist, erzählt er vom Werden des Staates Israel. Noch bis kurz vor seinem Tod mahnt er zur Versöhnung mit den Palästinensern. Appelfeld war weniger im Rampenlicht. Daher sei von ihm und seinem Roman „Auf der Lichtung“ (2014) kurz die Rede, Es ist der vorletzte von 46 Romanen, die er geschrieben hat. Auch hier schöpft der in Czernowitz Geborene aus seinem eigenen Leben, der Kindheit und Jugend in der Ukraine, der Bedrohung durch den Zweiten Weltkrieg, der Vernichtung der Juden. Edmund, der Ich-Erzähler dieser Geschichte, ist 17 Jahre alt. Er wächst in einer bürgerlichen Familie auf, besucht das Gymnasium. Vor dem Abitur muss er es wegen der deutschen Verfolgung verlassen. Die Eltern werden deportiert. Er kann fliehen und schließt sich einer jüdischen Widerstandsgruppe an. Sie agieren in den Wäldern der Karpaten als Partisanen. Der Anführer (Kamil) legt großen Wert auf die Vermittlung der humanen Werte eines reflektierten Judentums in der Tradition Martin Bubers. Ihr militärisches Ziel ist es, durch Sabotage-Akte den Abtransport der jüdischen Bevölkerung in die KZs zu stören und möglichst viele Menschen vor dem Tod zu bewahren. Die Geretteten verstecken sie in einem relativ sicheren Berglager und pflegen sie, so gut es geht. Dann beschießt ein deutsches Kommando das Lager mit Granaten. Kamil und andere sterben. Auch wenn viel vom Kampf gegen die deutschen Besatzer erzählt wird, wichtiger sind die Porträts der Menschen, die sich dieser gefährlichen Aufgabe stellen. Da gibt es den an Depressionen leidenden Kommandanten Kamil und seinen schweigsamen Stellvertreter Felix, den überzeugten Kommunisten Karl, den religiös inspirierten Isidor, das stumme Kleinkind Milio und seinen „Ersatzvater“, eine weise Alte, eine unermüdlich arbeitende Köchin, das Mädchen Miriam – ihre Lebensgeschichten gehen unter die Haut. Appelfeld erzählt sie in einer schlichten, schnörkellosen Sprache, die von Mirjam Pressler sensibel übersetzt wurde.

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Grass und die Israelis

Er mag sie eigentlich nicht, er hat sie noch nie so richtig gemocht und er muss sie auch nicht lieben, er, Günter Grass, die Israelis im Nahen Osten. Wir müssen ihn auch nicht immer lieben, den Nobelpreisträger für Literatur. Er hat uns lange verschwiegen, dass er als junger Mensch bei der SS war. Schweigen war hier Silber. Nun hat er ein Gedicht geschrieben, das eigentlich ein in Verse gegliederter Leitartikel ist. Darin geht es auch ums Schweigen, ums Verschweigen. Das Werk beginnt so:

„Warum schweige ich, verschweige zu lange, / was offensichtlich ist und in Planspielen / geübt wurde, an deren Ende als Überlebende / wir allenfalls Fußnoten sind.“

Grass hat, das sei vorab gesagt, fast nie geschwiegen, sondern sich unaufhörlich redend eingemischt. Nun will er das Schweigen über etwas brechen, was seit Monaten laut hörbar diskutiert wird: den israelischen Plan (Grass: „Planspiele“) eines militärischen Schlags gegen den mutmaßlichen iranischen Atombombenbau. Diesen Plan muss man nicht gutheißen, aber man sollte wenigstens den Hintergrund einbeziehen. Es ist die iranische Führung, die den Staat Israel unaufhörlich in seiner Existenz bedroht, zumindest verbal. Aber mit Worten fängt es immer an.

Was Grass auch nicht länger verschweigen mag: dass Israel Atomwaffen besitze. Wer verschweigt das eigentlich? Alle wissen es. Googeln, Herr Grass; hilft auch hier weiter: Israel ist eine Atommacht.

Die erste Strophe des Gedichts ist von der dem Autor eigenen Unklarheit. Zeichnen wir den Gedanken nach: „Ich“, das grammatische Subjekt, verschweigt etwas (Objekt): nämlich das, „was offensichtlich ist“. Von dem erfahren wir, dass es „in Planspielen geübt wurde“. Er meint wohl die militärische Aktion gegen den Iran. Nun sagt er aber nicht: „an dessen – des Militäreinsatzes – Ende“, sondern „an deren – der Planspiele – Ende“, was eigentlich harmlos klingt. Er schließt an, dass „wir“ (also Grass und andere), wenn das Spiel zu Ende ist, zwar überleben, aber leider „allenfalls (als) Fußnoten“. Ist das die Pointe? Dass Grass sich mit dem Los einer Fußnote in der Geschichte nicht zufrieden geben will?