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Die Kirchen und ihre Mitglieder

Die Zahlen, heißt es, seien nicht dramatisch. Nur einer von hundert Stuttgartern habe im letzten Jahr die Mitgliedschaft in seiner Kirche aufgegeben. Ein Prozent, das klingt wenig, ist aber viel. Bald hat die Stadt mehr Nichtchristen also solche, die sich als Kirchensteuerzahler wenigstens noch formal als evangelisch oder katholisch bekennen. Der Widerspruch zwischen der christlich geprägten Landesverfassung Baden-Württemberg und der Realität nimmt ständig zu.

Natürlich hat das auch mit den Kirchen selbst zu tun. Manchen mag die Steuer zu hoch sein, für manche sind andere religiöse Gemeinschaften attraktiver geworden, viele sehen keinen Sinn mehr darin, einer Institution Geld zu geben, von der man nichts hat, nichts bekommt und nichts erwartet. Selbst das Begräbnis lässt sich inzwisc hen anders organisieren. Im Übrigen tritt man auch aus den Parteien, den Gewerkschaften, Vereinen aus, wenn man sich nichts mehr von ihnen verspricht.

Die Kirchenleitungen scheinen die Krise nicht zu spüren. Sie leisten sich ungeniert die Arroganz der Macht, beuten ihre Mitarbeiter aus, entlassen eine Vikarin, die „falsch“ geheiratet hat, beharren im Gottesdienst auf einem altertümlichen Sprachstil und reden selbst Unverständliches. Sie ärgern viele durch Langeweile, Borniertheit und Abschottung von der Wirklichkeit.

Es ist heutzutage nicht mehr sehr ehrenvoll, sich als Christ zum Protestismus zu bekennen. Leider. Aber wahrscheinlich muss die Krise noch größer werden, ehe sich etwas tut.

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Überfällig – evangelische Kirchenreform

Die beiden großen christlichen Kirchen klagen über die hohe Zahl der Austritte. Bald kann man nicht mehr von „Volkskirchen“ reden. Deren Zeit scheint, wie auch die der „Volksparteien“, vorbei. Zu sein. Ein unumkehrbarer Trend? Eine unausweichliche Entwicklung? Ein unabwendbares Schicksal? Warum verlassen die religionsmündigen (über 14 Jahre alten) Bürger „ihre“ Kirche? Sie empfinden sie offenbar nicht mehr als ihre. Warum nicht?

Gerne wird auf die ökonomische Seite verwiesen. Die Kirchensteuer ist nicht gerade niedrig; sie wird automatisch vom Gehalt abgezogen. Das Geld fehlt. Wer kurzarbeitet, merkt das. Neuerdings werden bei Kapitalerträgen nicht nur die Abgeltungssteuer und der Solidarzuschlag, sondern auch die Kirchensteuer gleich mit abgebucht. Dagegen kann man sich nur schützen, wenn man seinen Austritt aus der Kirche erklärt.

Aber die Geldfrage erklärt nicht alles. Auch nicht die ebenfalls das Ökonomische berührende Frage nach dem Verhältnis von Preis und Leistung. Was zahle ich, was bekomme ich dafür? Wer nicht arm ist und einer kirchlichen Einrichtung sein Leben verdankt, nicht in den Gottesdienst geht, nicht heiratet und keine Kinder taufen lässt, bekommt so gut wie nichts zurück, außer der kirchlichen Bestattung am Ende seiner Tage.

Ich behaupte, man geht aus der Kirche, weil man nichts mehr von ihr erwartet. Die protestantische Kirche ist in ihrer gepflegten Routine, ihrer starren Struktur und ihrer langweiligen Außendarstellung nicht attraktiv. Sie spricht die Menschen nicht an – in doppelter Hinsicht. Sie äußert sich kaum oder unverständlich; ihre Botschaft, das Besondere, was sie zu verkündigen hat, bleibt oft in überkommenen Formeln stecken. Sie weist keine Wege oder ihre Wegweisung wird nicht wahrgenommen.

Heute allerdings (2.12.09) lese ich, dass der evangelische Dekan von Böblingen an der gestrigen Demonstration der Sindelfinger Daimler-Mitarbeiter teilgenommen, dort gesprochen und dafür auch Beifall bekommen hat. Es geht also auch anders.
(Blog-Eintrag Nr. 116)