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Achter Mai

Am 8. Mai 1945, als der Zweite Weltkrieg mit der Kapitulation des Deutsches Reiches ein Ende fand, war der Verfasser dieser Zeilen noch nicht einmal drei Jahre alt. Er wuchs auf in einer Trümmerlandschaft. Es herrschte extreme Wohnungsknappheit und ein großer Mangel an Lebensmitteln. Wörter wir „ausgebombt“ oder „abgebrannt“ bestimmten die Alltagssprache. Das Kriegsende wurde mit dem Wort „Zusammenbruch“ oder „Umsturz“ gekennzeichnet. Deutschland hatte sechs Jahre zuvor diesen Krieg mit voller Absicht und ohne Not begonnen, angetrieben von einer völlig unbegreiflichen Hybris. Man glaubte allen Ernstes, die ganze Welt erobern und besiegen zu können. Man hielt sich für eine besondere Rasse und alle anderen für minderwertig. Das Wort „Untermenschen“ diente zur Bezeichnung von Juden, Kommunisten und „Zigeuner“. Im Krieg gegen die Sowjetunion glaubte man sich von allen humanen Vorschriften des Völkerrechts entbunden, weil die Gegner keine Menschen waren, sondern Tiere, für die das Völkerrecht nicht gelte. Das deutsche Volk hat dieser Propaganda bereitwillig geglaubt. Kaum jemand hat sich dem Regime entgegengestellt. Die Idee, dass man etwas Besonderes sei, auserwählt zur Herrschaft, befugt, Ländereien im Osten zu erobern, um den eigenen „Lebensraum“ zu vergrößern, diese Idee hatte offenbar etwas derart Bestechendes, dass man sie sich gerne zu eigen machte. Was man bei kühlem Verstand hätte vorher wissen müssen – dass Deutschland die Welt nicht besiegen kann –, das wurde am achten Mai allen vor Augen geführt. Der Krieg hat über 50 Millionen Menschen das Leben gekostet, besonders vielen im Osten, unter den Juden sowie den Sinti und Roma. Man muss das klar sagen: Das ist eine Schuld, die niemals gesühnt werden kann. Nun gibt es heute wieder welche, die das für einen „Mückenschiss“ der Weltgeschichte halten, die leugnen, was geschehen ist und klammheimlich weiter der Idee huldigen, wir Deutsche seien etwas Besonderes. Es ist zum Heulen.

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Offene Fragen

In Sindelfingen gab es am 15. November einen zweieinhalbstündigen Geschichtsunterricht im Odeon, dem Saal der Jugendmusikschule. Gesprochen hat der österreichische Historiker Stefan Karner. Sein Thema: Siegfried Uiberreuther. Er war in den Jahren 1938 bis 1945 der mächtigste Mann der Steiermark und ein gehorsamer Diener seiner nationalsozialistischen Herren. Er hat viele Menschen auf dem Gewissen und war vor auch an der Erstellung des sinnlosen Ostwalls beteiligt, der Tausenden jüdischen Mitmenschen das Leben gekostet hat. In Eva Menasses Roman „Dunkelblum“ lässt sich diese üble Geschichte nachlesen. Uiberreuther hat es nach dem Krieg geschafft, sich der fälligen Strafe zu entziehen. Er floh und galt lange Zeit als verschollen. Manche vermuteten ihn in Argentinien. Erst Jahre nach seinem Tod 1984 wurde öffentlich bekannt, dass er mit seiner Familie in Sindelfingen Unterschlupf gefunden hatte. Die Familie bestand aus seiner Frau, einer geborenen Wegener, die Tochter des berühmten Geowissenschaftlers Wegener, und aus drei Söhnen, die alle in Sindelfingen eine neue Identität bekommen haben. Die Firma Bitzer nahm Uiberreuther, der sich nun Schönharting nannte, als Mitarbeiter auf, die Stadtverwaltung Sindelfingen versorgte ihn mit neuen Papieren. Am Ende der Veranstaltung blieben einige Fragen offen: Warum ging der Kriegsverbrecher aus der Steiermark ausgerechnet nach Sindelfingen? Hat er dort in frommen Kreisen Verständnis für seine mörderische Vergangenheit bekommen? Welche Rolle hat der damalige Oberbürgermeister gespielt, den man auch zu den Frommen im Lande Württemberg zählen durfte? Wer hat sonst noch Bescheid gewusst, den Mund gehalten und sich damit der Strafvereitelung schuldig gemacht?