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Reformatorischer Alltag

Der 31. Oktober ist nur in den neuen Bundesländern, wo es so gut wie keine Christen mehr gibt, ein Feiertag. In Baden-Württemberg ist es beim katholischen Allerheiligen als Feiertag geblieben. Die Protestanten sind ein Jahr nach der Luther-Fest-Orgie wieder im unheiligen Alltag angekommen. Konkret heißt das: Dauernd wird am Abend des 31. Oktober an der Haustür geklingelt. Kleine und nicht ganz so kleine verkleidete Kinder stehen davor und sagen den Spruch: Süßes oder Saures. Wenn man sie fragt, was sie mit dem Sauren meinen, schauen sie ratlos. Offenbar wird ihnen reichlich gegeben, denn auf den Wegen liegen Bonbon-Papiere und andere Verpackungen zu Hauf. Ist das mit dem Sauren gemeint, dass ich nun den Halloween-Müll aufsammeln soll? Dabei ist der Ärger über den Reformationsabend in der hiesigen Kirche noch nicht verflogen. Ein Vortrag über „Glaube und Bildung“ war derart unverständlich (zahllose Versprecher, unübersichtliche Schachtelsätze) und unbekömmlich (unbegründete Attacken gegen die Aufklärung und PISA), redundant (ständige Wiederholung von Banalitäten) und am Thema vorbei (Luther und die Juden, Luther und der Bauernkrieg, landesherrliches Kirchenregiment), dass man laut aufschreien hätte wollen oder wütend die Kirche verlassen. Das tut man natürlich nicht. Nicht einmal diesen Mut hat unsereinem Luther vermittelt. Der hat des Volkes manchmal derbe, aber auf jeden Fall eine deutliche Sprache gesprochen. Und sogar Deutsch. Nicht dieses pseudowissenschaftliche Kauderwelsch, das ständig über uns ausgegossen wird. Reformation? Fehlanzeige.

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Reformationsbier

Wenn dieser Redensart tatsächlich eine reale Möglichkeit zugrunde läge, würde er sich im Grab herumdrehen und damit sein Missfallen über das Reformationsgedenken 2017 bekunden. Aber Luther ist schon zu Staub zerfallen und kann sich nicht mehr wehren. Daher übernimmt Häckerling diese Aufgabe, wenigstens ein bisschen. Nicht dass ich dagegen wäre, dass wir uns an die Reformation erinnern. Sie darf nie aufhören, wenn das reformatorische Wort noch gilt, dass die Kirchen sich ständig zu reformieren haben. Dazu gehört auch, finde ich, dass sie sich überlegen, ob ihre heutige Struktur, ihre „Verfasstheit“, ihr Anspruch und vor allem ihre Verkündigung noch dem entsprechen, was die Welt, in der sie sich bewegen und die (mit) zu gestalten ihr Auftrag ist, von diesen christlichen Kirchen erwartet. Aber was tut die protestantische Kirche derzeit? Sie stellt Äußerliches in den Vordergrund. Sie lässt Münzen prägen und Briefmarken drucken, sie vermarktet Orte touristisch, wo Luther mal einen Fuß draufgesetzt hat – und das im deutschen Osten, der sich durch seinen Verzicht auf jegliches Christentum ganz besonders auszeichnet. Das Wesentliche der Reformation lässt sich nicht an Orten erkennen, es spielt sich im Kopf ab. Aber landauf, landab wird nach lutherischem „Vorbild“ gespeist – dabei hat sich der Reformator eher ungesund ernährt. Heute entnehme ich der örtlichen Presse, dass ein Luther-Bier kreiert worden ist – als ob des Reformators Trinkgewohnheiten ein Modell für die Zukunft sein könnten. Aber Hauptsache, der Dekan kommt mal wieder mit Bild in die Zeitung. Wichtig ist offenbar nur noch, dass man als protestantische Kirche mit der katholischen medial Schritt hält. Ob man so, um es lutherisch auszudrücken, einen gnädigen Gott bekommt? Und ob sich mit Bier, Essen, Münzen, Briefmarken und Tourismus die Welt bessert, das bezweifle ich.

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Reformation

Nun arbeiten sie sich in allen Medien an Martin Luther ab. Die einen stilisieren ihn zum protestantischen Heiligen, andere werden nicht müde, seinen Antisemitismus zu geißeln. Dabei gerät etwas aus dem Blick, was er wollte: eine bessere Kirche, keine, die sich selbst als das Wichtigste ansieht, deren Hierarchie alles Spontane erstickt, die mehr am Geld der Gläubigen als an deren Seelenheil interessiert ist. Da jede Organisation Gefahr läuft, zu verkrusten und sich selbst für überaus wichtig zu halten, ist das Wort von der Kirche, die ständig zu reformieren sei, auch heute noch relevant. Der Oberkirchenrat der württembergischen Landeskirche sollte sich daran auch immer wieder erinnern. Mir kommt es jedenfalls so vor, als habe man sich dort von der kirchlichen Basis ziemlich weit entfernt. Die Beispiele behalte ich heute mal für mich. Was Luther angeht, so habe nichts gegen ihn. Seine Übersetzungs- und Sprachschöpfungsleistung ist bewundernswert. Ob die neuerliche Revision der Luther-Bibel nötig war, sei dahingestellt. Aber sie per Vorschrift in den Gemeinden zu verankern, das geht nicht. So schön die Luther-Sprache auch ist, sie stammt aus dem 16. Jahrhundert und läuft dem Empfinden des heutigen Menschen manchmal sehr zuwider. Manche Passagen aus den Paulusbriefen sind, vorgelesen, schlicht unverständlich. Wenn es Luther wichtig war, die Bibel dem normalen Leser verständlich zu machen, muss sie in der Sprache des 21. Jahrhunderts zu Wort kommen. Von einer lebendigen protestantischen Kirche erwarte ich, dass sie unter Berufung auf dieses Wort dem Leben, der Freiheit, der Vielfalt, der Offenheit gute Bedingungen schafft, dass sie ehrlich ist, eine deutliche Sprache spricht, dass sie bekennt und einsieht, es nicht allen recht machen zu können. Eine lebendige Kirche setzt sich für die Rechte derer ein, die benachteiligt sind und Unterstützung brauchen. Sie stellt sich gegen jene, die nur an ihren Profit denken. Sie trägt dazu bei, dass der Globus nicht zerstört wird.