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Unnötiges Testen

Selbstverständlich ist es ganz wichtig, Sprachdefizite bei kleinen Kinder möglichst früh zu erkennen und abzubauen. Die Defizite können dadurch entstehen, dass ein Kind in seiner sprachlichen Entwicklung gestört ist. Dies kann die Folge einer körperlichen, mentalen oder psychischen Behinderung sein. Dann ist eine klare medizinische Diagnose geboten, aus der sich geeignete Fördermaßnahmen ergeben.

Sprachliche Rückständigkeit kann aber auch das Ergebnis mangelnder Sprechanregung im Elternhaus sein. Offenbar wird in nicht wenigen Familien kaum noch miteinander bzw. mit den kleinen Kindern gesprochen. Oder es entsteht wegen der nichtdeutschen Herkunft eine Sprachverwirrung, die das Kind in der Kita verstummen lässt, weil ihm die Wörter fehlen oder die Bildung passender Sätze nicht gelingen will.

Dann ist dringend Hilfe geboten. Doch vor der Hilfe steht bei uns eine offenbar mühselige Phase der Diagnose. So jedenfalls lese ich den Bericht in der Stuttgarter Zeitung vom 9. Juli 2009 über die Stuttgarter Erfahrungen mit den Sprachtests HASE und der Sprachentwicklungstest SETK. Offenbar läuft der Hase ganz gut, während SETK die Kinder eher quält und kaum einen Erkenntniszuwachs bringt. Wenn das so ist, sollte man ihn weglassen. Eine detaillierte Analyse der Sprachentwicklung ist auch deshalb wenig sinnvoll, weil es an der entsprechenden differenzierten Förderung mangelt.

Mir leuchtet beim SETK noch ein, dass die Kinder Handlungsanweisungen verstehen und umsetzen sollen: „Leg den blauen Stift unter den Sack!“ Dazu muss man einen bestimmten Stift (unter mehreren) erkennen und dazu auch seine Farbe erfassen, ihn dann nehmen und „unter“ (Verhältniswort) den Sack schieben.

Akzeptabel ist auch, dass man eine Bildkarte mit einem Satz in Verbindung bringt: „Die Katze springt in den Eimer.“ Aber was soll das Nachsprechen sinnloser Wörter wie Ribane, Dolling oder Biwo? Das sind Bildungen, die mit dem Deutschen, um dessen Erwerb es ja geht, fast nichts zu tun haben. Natürlich kann man zu solchen Wörtern den Plural bilden oder ihnen ein Genus zuordnen. Aber wozu?

Unsinnige Sätze nachzusprechen kann viel Spaß machen. Ein Beispiel: „Auf einer stummen Flasche strickt ein kaputter Vogel.“ Doch ist ein solcher Satz (nach meiner Einschätzung) auch ein bisschen störend für die Entwicklung semantischer Strukturen im Kopf des Kindes: Mit „Flasche“ sollte man bestimmte Eigenschaften assoziieren wie grün, bauchig, voll oder leer. Das Stricken (wenn man den weiß, was das ist) wird eher menschlichen Wesen denn Tieren zugeordnet. Und was soll das Adjektiv „kaputt“ bei einem Lebewesen?

Was wissen wir, wenn ein Kind das nicht nachsprechen kann? Wie fördern wir es bei diesem Defizit?

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Unstimmige Metapher 1: Talsohle

Krisen bringen ihre eigenen Sprachbilder hervor. Unsere derzeitige hat uns schon allerlei beschert, zum Beispiel das Schnüren von Paketen. Das hat einen hoffnungsvollen Klang; denn wer erhält nicht gerne ein Paket, vor allem dann, wenn es ein Geschenk enthält?

Da in Krisen nichts wichtiger ist als die Hoffnung, geht es nun darum, sie anschaulich zu machen. Dafür haben sich die sprachlichen Meinungsmacher die Talsohle ausgedacht. Die, so erfahren wir, sei in Sicht.

Unter einer Talsohle versteht man den „Boden“ eines Tales, also den Teil, der bei einem landschaftlichen Einschnitt ganz unten ist. Dort fließt auch der Bach, der das Tal ausgeschnitten und geformt hat. Allerdings bedeutet das: ein Tal ist nicht eben, sondern schief, es muss sich nach unten neigen, wie sonst könnte das Wasser fließen? Die Talsohle hat ein unterschiedliches Höhenniveau. Wenn sie also „in Sicht“ ist, an welchen Abschnitt sollen wir denken, den unteren oder den oberen, von dem aus es noch einige Zeit weiter abwärtsgeht?

Die andere Frage, die mich bei dieser Metapher bewegt, ist der Standort des Betrachters. Die Talsohle sieht man von oben am besten. Vom Berg aus kann man auf sie hinunterschauen. Von dort aber ist der Weg ins Tal oft noch recht weit. Die Talsohle in Sicht zu haben, sagt also leider nichts darüber aus, wann man sie nach einem langen und mühseligen Abstieg endlich erreicht haben wird.

Und so verwandelt sich das vermeintlich tröstliche Bild beim Blick auf unsere Krise in ein eher beängstigendes. Wir sehen offenbar aus der Ferne (schon!?) das Ende von ihrem Wachsen, aber wie weit es noch ist, bis sie ihren Höhepunkt, genauer: ihren Tiefpunkt, erreicht hat, bleibt ungesagt.

Was in meinen Augen aber noch schlimmer ist: Wer kann uns versprechen, dass „die Wirtschaft“, wenn sie denn schließlich „ganz unten“ in der Talsohle angekommen ist, wieder den Weg nach oben einschlägt?

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Unsinnige Werbung 2: Matratzen

Nach einem langen Tag muss der Mensch schlafen. Am besten gut. Dafür hat er sein Bett. Aber um wirklich gut schlafen zu können, bedarf der Mensch eines modern ausgerüsteten Bettes. Besonders wichtig ist dabei die Matratze. Das entnehme ich einem Prospekt der Tageszeitung, den ein Kaufhaus beilegen ließ. Darin wird mir sogar ein Preis-Hammer versprochen.

Erstaunlich ist auch in der Welt der Matratzen die sprachliche Vielfalt. Es finden sich geradezu erstaunliche Benennungen, die reichlich Stoff zum Nachdenken geben, wenn sich trotz der guten Matratze der Schlaf nicht einstellen will.

Eine schöne Formulierung wurde für die Matratze Alea Platin gefunden: Sie verfügt über ein spezielles Schulter-Entlastungssystem und eine Becken-Komfortzone. Die Wirbelsäule wird ergonomisch gelagert und ein Modal-Bezug sorgt mit seiner antibakteriellen Naturfaser-Ausstattung für – ja für was eigentlich? Für Geruchsfreiheit und die Vernichtung krankmachender Keime? Etwas nachdenklich hat mich bei einer Tri-Motion-Matratze der Hinweis auf den schnellen Feuchtigkeitsabtransport (herrliches Kompositum!) gestimmt

Hübsch ist der Name einer Coltex-Matratze: Sie heißt Night-Wish-Silber (nicht „silver“). Und ich erfahre auch, um was es sich bei Coltex handelt: Es ist ein Polyurethan-Weichschaumstoff. Ich verstehe das als weichen Schaumstoff oder ist es ein weichgeschäumter Stoff? Coltex wird nach dem sogenannten Blockschaumverfahren hergestellt. Damit ist wohl alles klar. Als mündiger Verbraucher weiß ich nun Bescheid.

Da fällt nicht ins Gewicht, dass es mir an Kenntnis fehlt, was ich unter Lyocell und Polypropylen zu verstehen habe oder was sich hinter dem offenporigen Komfortschaum und der innovativen Kerntechnologie verbirgt – Matratzen scheinen auch etwas Gefährliches an sich zu haben.