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Irrelevantes Systemgerede

Einst waren es Banken, von denen behauptet wurde, sie dürften nicht kollabieren, weil sie sonst das ganze Finanzsystem in den Abgrund stürzen würden. Also hat man sie als systemrelevant mit öffentlichem Geld vor dem Bankrott gerettet. In diesen Virus-Zeiten wird das Adjektiv „systemrelevant“ Menschen angeheftet, Krankenschwestern und Pflegerinnen, Ärztinnen und Sachbearbeiterinnen, Polizistinnen und Kindergärtnerinnen. Weil sie systemrelevant sind, sollten sie besser bezahlt werden. Ohne sie kollabiere das System. Nichts gegen mehr Wertschätzung und gerne auch mehr Geld am Monatsende für diese Menschen. Aber der Ausdruck Systemrelevanz hat etwas brutal Technokratisches. Er kommt gespreizt daher und degradiert Menschen zu Elementen eines Systems. Warum sagen wir nicht, dass die Arbeit dieser Frauen (und auch Männer) wichtig ist, dass ohne ihre helfende Tätigkeit viel Leid entstünde, dass sie eine wichtige Leistung erbringen, ohne die unsere Gesellschaft zusammenbräche. Das Wort „System“ hat einen negativen Beigeschmack. Der Systemkritiker sieht sich im Widerstand gegen die zerstörerische Macht einer autoritären Staatsform. Im Übrigen sind nicht nur die oben Genannten, sondern noch viele andere Menschen mit ihrer Tätigkeit von großer Bedeutung für unser Land: Wissenschaftler, die nach Lösungen für schwierige Probleme suchen, Lehrkräfte, die sich aufreiben, um schwierigen Kindern etwas „beizubringen“, Techniker, die den öffentlichen Nahverkehr bei Störungen wieder zum Laufen bringen oder unsere Energiezufuhr sichern, Busfahrer, Eisenbahner, Müllwerker, Sozialarbeiter, die kaputten Familien oder Stadtvierteln helfen, Künstlerinnen und Künstler, die auf ihre Weise der Gesellschaft zum Nachdenken verhelfen, Landwirte und Erntehelfer, die unsere Nahrung beschaffen, Geistliche, die Trost und Wegweisung geben, Politiker (natürlich beiderlei Geschlechts), die schwerwiegende Entscheidungen treffen … Ohne die hier Genannten und die viel zahlreicheren Ungenannten, könnte unser Staat (und seine diversen Systeme) nicht bestehen.

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Starker Staat

Ungewohntes erleben wir: dass die staatliche Gewalt massiv in die Freiheitsrechte des Einzelnen eingreift. Die Gründe sind nachvollziehbar, aber es mutet schon eigenartig an, dass den Menschen verboten wird, sich zu versammeln, dass sie gezwungen werden, Abstand zu halten, es verboten ist zu reisen, zu arbeiten, Gaststätten zu besuchen. Dürfen die “da oben” das eigentlich? Ja, sie dürfen es. Sie dürfen sogar den, der sich nicht an die Verordnungen hält, bestrafen. Den starken Staat erleben wir selten. Im Krieg zeigt er sich und auch bei Katastrophen. Sogar seine eigenen Regeln darf er außer Kraft setzen, darf Schulden aufnehmen, soviel er will, darf im Parlament Beschlüsse fassen, auch wenn es nicht beschlussfähig ist, darf Bewegungsprofile der Handys erstellen, uns also überwachen. Bis jetzt hat offenbar noch niemand den Versuch gemacht, dieses staatliche Gebaren verfassungsrechtlich zu überprüfen. Aber das kann noch kommen. Wichtig ist, dass alle Maßnahmen zeitlich befristet sind und damit gekoppelt an die Situation, in der wir uns derzeit befinden. Aber was ist, wenn die Welt der Viren Geschmack an dieser Machtdemonstration findet und uns nächstes Jahr mit einem neuen Corona-Virus überfällt? Das ist zwar statistisch unwahrscheinlich, aber mit dem jetzigen Virus hat auch keiner gerechnet. Dann wird sich die Frage stellen, wie stark der Staat tatsächlich ist und wie lange seine Stärke hält.

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Wendtemanöver

Das Beamtenrecht ist offenbar ziemlich dehnbar, Diesen Eindruck erweckt die Geschichte eines Polizisten, der durch Aussagen auffällt, die der Alternative für Deutschland gut anstünden, die er aber als Vertreter einer Gewerkschaft ablässt. Nun darf bei uns bekanntlich jeder sagen, was er will, ob es stimmt oder nicht, ob er Polizist ist oder Politiker. Das Besondere am Fall Wendt aber ist, dass der Staat den Gewerkschaftsvertreter dafür bezahlt. Dazu aber fehlt die Rechtsgrundlage im Beamtenrecht, wie wir jetzt erfahren mussten. Der Polizist ist nicht, wie es die Regelungen für die Personalvertretung vorsehen, als gewählter Personalrat teilweise und auf Zeit vom Dienst freigestellt worden, sondern er vertritt eine Gewerkschaft. Von der bekommt er eine „Aufwandsentschädigung“. Gleichzeitig wird er als Beamter bezahlt, und zwar für einen „Dienst“, den er nicht erbringt. Das ist dreist. Und es mutet noch dreister an, dass dies seit Jahren so der Brauch ist. Nichts gegen die Gewerkschaften; sie sind wichtig, sie erfüllen für ihre Mitglieder wichtige Aufgaben. Sie sind auch nicht arm und können ihren Funktionären ordentliche Gehälter zahlen. Muss der Steuerzahler das Gewerkschaftswesen finanzieren? Nein, muss er nicht, darf er auch nicht, denn das würde die Unabhängigkeit der Gewerkschaften beschädigen. Aber in einem Staat (die Bundesrepublik Deutschland), wo ein ethisch fragwürdig handelnder Autokonzern (VW) von Gewerkschaftlern maßgeblich gesteuert wird und wo ein Land (Niedersachsen) im Aufsichtsrat sitzt, sind die Grenzen zwischen Wirtschaft, öffentlicher Hand und Gewerkschaften derart verwischt, dass man sich über den Wendt-Fall gar nicht zu wundern braucht.