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Geschichtliche Verantwortung

Deutschland habe gegenüber der Ukraine eine geschichtliche Verantwortung, heißt es. Was das konkret bedeutet, lässt sich im Roman „Sie kam aus Mariupol“ von Natascha Wodin nachlesen, für den sie 2017 den Preis der Leipziger Buchmesse erhielt. Sie erzählt darin von der mühsamen Recherche der Geschichte ihrer Mutter. Die hat sich 1956 36-jährig das Leben genommen. Wodins Mutter hat als Kind in Mariupol gelebt. Sie entstammte einer einst wohlhabenden ukrainischen Familie, die nach der kommunistischen Revolution (1917) ihr Vermögen verlor. In den 1920er Jahren herrschte in der Ukraine nach der Landreform Stalins bitterste Hungersnot. Die 30er Jahre waren geprägt vom stalinistischen Staatsterror. Wer als Gegner des Regimes galt, kam nach Sibirien oder wurde umgebracht. Unter den rund 20 Millionen Opfern waren auch viele Ukrainer. 1941 eroberte Hitlers Armee die Ukraine. Die Besatzungsmacht rekrutierte Wodins Mutter als Mitarbeiterin im Arbeitsamt von Mariupol. Als die Sowjets das Land zurückeroberten, floh sie wie zehntausende andere mit ihrem Mann ins Deutsche Reich. Mariupol wurde vom deutschen und sowjetischen Militär völlig zerstört. Bis Kriegsende arbeitete die Mutter als rassisch minderwertige „Ost-Arbeiterin“ unter katastrophalen Bedingungen in der Rüstungsindustrie. 1945 wurden diese Zwangsarbeiter von den Amerikanern als Displaced Persons in Lagern zusammengefasst. Eine Rückkehr in die weiter zur Sowjetunion gehörenden Ukraine hätte den sicheren Tod bedeutet, denn mit „Kollaborateuren“ der Deutschen machte man dort kurzen Prozess. Auch in Deutschland verachtete man diese ehemaligen Ost-Arbeiter. Wodins Mutter verfiel in Depression. Nach ihrem Freitod in der Regnitz blieben zwei Mädchen als Halbwaisen zurück. Ein bedrückendes Buch über NS-Opfer, die nicht im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung stehen.

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Wohlfeile Ratschläge

Es ist unstrittig, dass die Bilder vom Krieg in der Ukraine schrecklich sind, es herrscht auch Einigkeit, dass der Frieden dem Krieg vorzuziehen ist. Und es wäre wirklich eine gute Nachricht, wenn sich die Kriegsparteien (also der Angreifer und der Angegriffene) auf einen Waffenstillstand oder gar eine Friedenslösung einigen könnten. Es zeugt von Verantwortungsgefühl, wenn 28 Menschen der Feder und des Geistes unsere Regierung beschwören, alles zu tun, um eine diplomatische Lösung zu erreichen. Was sie aber auch fordern: Verzicht auf Waffenlieferungen. Die Logik ist bestechend: Wenn die Ukraine sich militärisch nicht verteidigen kann, weil ihr die Waffen fehlen, muss sie kapitulieren. Auch das wäre eine Art von Frieden. Im Text der Schreiberschar heißt es sinngemäß: Eine zweite ‚Grenzlinie‘ sei das menschliche Leid der ukrainischen Zivilbevölkerung. Es sei die Frage, ob die weiteren ‚Kosten‘ an Menschenleben unter der ukrainischen Zivilbevölkerung moralisch verantwortbar sei. Darüber dürfe nicht allein die ukrainische Regierung entscheiden, so die Unterzeichner. – Wer entscheidet dann, wenn man die Ukraine in dieser Frage entmündigt hat?  Die Verantwortung für eine Eskalationsgefahr gehe auch diejenigen an, die dem Aggressor ‚sehenden Auges ein Motiv zu einem gegebenenfalls verbrecherischen Handeln liefern‘. Also den Lieferern von Waffen. Sie sollen die Ukraine durch einen Lieferungsstopp zum Frieden zwingen. Ein merkwürdiges Argument. Wir sind die, die besser wissen, was für das angegriffene Land gut ist. Dieser moralische Imperialismus hat in Deutschland eine lange, unselige Tradition.

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Einfache Lösung

Viele sagen, es gebe keine einfache Lösung für den aktuellen Krieg in Europa. Aber manche haben diese einfache Lösung vor Augen: Die Ukraine soll kapitulieren. Dann käme von einem Tag auf den anderen das Ende des Schießens und Mordens. Die Regierung erhielte Asyl im Westen. Die Geflohenen könnten zurück in die Heimat. Das würde uns Kosten sparen. Russland müsste nicht mehr unter Sanktionen leiden. Gerne würde es die freigegebenen Milliarden in den Wiederaufbau der Ukraine stecken. Es würde dem Land weitgehende Autonomie gewähren. Es käme überhaupt eine bessere Zeit für das ukrainische Brudervolk. Zum Beispiel würde es nicht mehr von drogensüchtigen Nationalisten regiert. Auch für uns im Westen hätte das beträchtliche Vorteile. Bald käme wieder Weizen aus dem Osten. Wir könnten weiter billige Energie von Russland beziehen, Nord Stream 2 könnte in Betrieb gehen. Die Firmen dürften wieder Geschäfte mit dem Land treiben. Der Index, der den Optimismus der Industrie misst, würde steigen. Auch die Aktienkurse hätten wieder eine Tendenz nach oben. Putin könnte im Bundestag eine Friedensrede halten und dafür stehend Ovationen bekommen. Er würde zum Kandidaten für den Friedensnobelpreis. Warum nur gehen wir nicht offen diesen einfachen Weg in Richtung Frieden und begnügen uns damit, bei den Waffenlieferungen Zurückhaltung zu üben und so die Zeit bis zur Kapitulation zu verkürzen?