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Allfällige Lockerungen

Der Rückweg zum Alltag nach der Krise ist mit Ungerechtigkeiten gepflastert. Dass die Wirtschaft mit den Füßen scharrt, versteht man. Immerhin geht es um viel Geld. Manche kritisieren die wirtschaftlichen Lockerungen als Kniefall vor dem Kapitalismus, aber die haben wohl noch nie erlebt, was es bedeutet, zahlungsunfähig zu sein. Ob Einmannbetrieb oder Konzern, alle leben davon, Geld zu verdienen. Nebenbei: Die Firmen zahlen übrigens auch Steuern. Und wenn man ihnen und den Besserverdienenden, diese Schlimmen gibt es ja auch noch, nach Corona Rechnungen schreiben will, um die Staatsschulden abzubauen, muss man sie auch in den Stand setzen, selbige bezahlen zu können. Ob jeder in der SPD das weiß? Aber bei allem Verständnis für das Wirtschaftssystem – es gibt auch noch anderes. Zum Beispiel die Schulen, deren Rückkehr in die Normalität von Fragezeichen umhüllt ist. Alle Kinder und Jugendlichen sollen vor den Sommerferien wieder in die Schule, wird gesagt. Aber wie? Mit Abstand zwischen den Stühlen und Gesichtsschutz? Bei halbierten Klassen? Wie soll das gehen? Das würde doppelt so viel Raum benötigen und die doppelte Zahl an Lehrerstunden. Aber beides gibt es nicht. Zumal die Lehrkräfte, die zur Risikogruppe gezählt werden, zu Hause bleiben dürfen. Ergo wird es keine Rückkehr zur Normalität geben, sondern eine kreative Mischung aus Präsenz und Homeschooling. Oder man macht es wie in Italien und beginnt erst wieder im September. Unschöne Aussichten. Erfreulicherweise werden den kleinen Kindern die Spielplätze bald wieder offen stehen. Und uns anderen die Kinos und Theater? Wann geht es in der Kultur wieder ins Lockere? Im Fußball zeichnen sich Geisterspiele ab. Wann dürfen wir uns wieder an Filmen und Theateraufführungen, an Lesungen und Konzerten, an Vorträgen und Schulfesten begeistern? Man will die Fesseln allmählich lockern, aber wann werden sie in den Sondermüll geworfen?

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Geliebte Brückentage

Das Wort „Brückentag“ hat das Zeug zum Wort des Jahres. Nicht mehr die Feiertage selbst (1. Mai, Himmelfahrt) sind wichtig, sondern der freie Arbeitstag zwischen Sonnabend, Sonntag und Feiertag. Wichtig an ihm ist, dass er eine kleine, aber feine Urlaubszeit ermöglicht. Mit einem Tag aus dem Kontingent der rechtlich zustehenden arbeitsfreien Tage kann man locker einen Vier-Tage-Urlaub zaubern. Wenn das nicht effizient ist. Daher gibt es eine wachsende Gruppe von berufstätigen Menschen, die einen weiteren brückentagförderlichen Feiertag fordern, den 31. Oktober, manchen bekannt als Reformationstag. Zusammen mit Allerheiligen ist er geeignet, einen weiteren Kurzurlaub zu generieren. Nun kommt es dem arbeitslosen Verfasser des Häckerling nicht zu, sich über den Drang zur Freizeitoptimierung der Werktätigen lustig zu machen, trotzdem nimmt er sich das Recht heraus, ein wenig darüber zu sinnieren. Vielleicht ist (einerseits) der Trend zu weniger Arbeitstagen schon ein Vorgriff auf jene Zeit, in der ein großer Teil der Arbeit von Robotern übernommen sein wird, in der man die geschrumpfte verbleibende Arbeitsmenge auf immer mehr Berufstätige verteilen muss, zum Beispiel durch die Einführung der 25-Stunden-Woche. Doch möglicherweise (also andererseits) ist der Wunsch nach Freizeit auch ein Zeichen von Dekadenz. Deutschland ist derzeit noch wirtschaftlich Spitze, aber die Zeichen mehren sich, dass dies bald ein Ende hat. Wir verschlafen die Digitalisierung und machen uns mit einer wuchernden Bürokratie das ökonomische Leben schwer, wir müssten uns auf zwar ungünstigere, aber global gerechtere Handelsbedingungen einstellen, wir spüren einen wachsenden Arbeitskräftemangel, kriegen aber kein Einwanderungsgesetz hin. Ein Geschäft macht man bekanntlich in guten Zeiten kaputt. Das „Geschäft Deutschland“ ist ein Auslaufmodell. Wie gut, dass wir uns an den Brückentagen darüber Gedanken machen können.

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Die Lehrer und das Leben

Da hat er mal eine richtige Erkenntnis gehabt, der Minister Stoch, und jetzt fallen sie über ihn her. Dabei wollte er doch nur zum Ausdruck bringen, dass Lehrer nicht betriebsblind sein sollen, sondern den Betrieb in den Betrieben kennen sollen. Anders gesagt: Sie sollen eine Ahnung davon haben, wie es im realen Leben zugeht, auf dass sie ihren Schülerinnen und Schülern davon anschaulich berichten können. Dass es nichts schadet, die Arbeitsbedingungen einer Logistikfirma oder eines Bauunternehmens zu kennen, dass es von Nutzen ist, über die Tätigkeit von Putzkolonnen, Erdbeerpflückern oder Verwaltungsbeamten, von Menschen am Band oder am Tresen, von Bankern oder Managern, von Sozialarbeitern, Politikern und Journalisten, Wissenschaftlern, Sportlern und Schauspielern, Architekten und Ärzten Bescheid zu wissen.

Aus diesem Grund verlangt man schon seit Jahren von den künftigen Lehrern, auch denen am Gymnasium, lieber Herr Stoch, dass sie ein soziales oder betriebliches Praktikum abgelegt haben, ehe sie sich für das zweite Staatsexamen melden.

Und dann habe ich noch eine Bitte um sprachliche Genauigkeit an den Minister. Wenn man den Text des Artikel in den Stuttgarter Nachrichten für authentisch nehmen darf, dann hat Stoch gesagt, bei den Lehrern solle das „Verständnis für die Wirtschaft“ wachsen. Aber darum geht es nicht, sondern es geht um das „Verstehen“. Das aber bekommt man nicht dadurch, dass man „einen Betrieb von innen sieht“. Dazu muss man einiges lernen, Betriebs-, Volks- und Finanzwirtschaftliches und auch etwas Soziologie. Damit könnten „Betriebsblinde“ zu Sehenden werden. Derlei Kundige stünden den Schulen in der Tat wohl an.