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Über eine Bildungsoffensive 2

Die Qualitätsoffensive des baden-württembergischen Kultusministeriums gebar als Erstes eine vierseitige Beilage in der Zeitung. Auf der Titelseite ist zu lesen: „Für unsere Kinder. Unsere Ideen für eine bessre Bildung.“ Hier konnte sich die beauftragte Berliner Werbeagentur schon mal so richtig austoben. Sie scheut auch vor nichts zurück. So behauptet sie auf Seite 3, dass Friedrich Schiller gesagt habe „Früh übt sich, was ein Meister werden will.“ Das hat nicht Schiller gesagt; das lässt der Dramendichter Schiller die Figur Wilhelm Tell sagen, und zwar über die ersten Erfolge seines Sohnes im Gebrauch der Armbrust. Tells Frau Hedwig ist ob dieses martialischen Lernerfolgs überhaupt nicht begeistert. Und Häckerling ist angesichts dieses Missgriffs der Werbeleute (oder des KM?) amüsiert.

Auf Seite 2 der Beilage steht unter der großen Überschrift „Mehr Platz“ der hochbrisante Satz: „Kleinere Klassen und mehr Lehrerinnen und Lehrer bedeuten: individuellere Förderung für unsere Kinder“. Wenn das so einfach wäre.

Es gibt ja im Land schon viele Klassen, die kleiner sind als 33, und auch solche mit der angestrebten „Sollstärke“ von 28. Aber wird in solchen Klassen individueller gefördert, nur weil es ein paar Kinder weniger sind, die man zu unterrichten hat? Individuelle Förderung in der Schule heißt ja nicht bloß, dass die Lehrkraft dem Einzelnen ein bisschen mehr Zuwendung gewähren könnte und dass es möglich ist, unbeachtete Schüler häufiger „aufzurufen“. Individuelle Förderung bedeutet: Jeder Junge, jedes Mädchen bekommt die ihm/ihr gemäße Lernumgebung, jedes Kind wird mit solchen Aufgaben bedacht, die seiner Leistungsfähigkeit entsprechen, jeder Jugendliche darf mitreden, wenn es um die Gestaltung seiner eigenen Lernprozesse geht. Das setzt eine gründliche Diagnose des Lernstands voraus. Und es verlangt sorgfältige Planungen der Arbeitsaufträge.

Diese Art „individueller Förderung“ können die Lehrerinnen und Lehrer nur dann erbringen, wenn sie darin geschult worden sind. Aber sind sie das? Ich bezweifle das.

(Blog-Eintrag Nr. 143)