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Schule

Ersehntes G 9

Es war einmal eine Zeit, in der man nach neun Jahren das Abitur ablegte. Die jeweils drei Schuljahre waren klar gegliedert in Unter-, Mittel- und Oberstufe. Die elfte Klasse diente der Vorbereitung auf die Kursstufe. In 12 und 13 absolvierten die Schülerinnen und Schüler Grund- und Leistungskurse. Am Ende wurden ihre Punkte zusammengezählt und ein Ergebnis als Note mit Zehntelschritten formuliert: 1,3 oder 2,4. von diesem NC-Schnitt hing es ab, ob und wo man studieren durfte. Diese neunjährige Schulzeit war lang. Man stellte fest, dass deutsche Abiturientinnen und Abiturienten im internationalen Vergleich überaltert waren. Man konnte auch nicht leugnen, dass die Zeit in der Schule so üppig war, dass sich Nebenjobs gut damit verbinden ließen. Da am Ende alle Schülerinnen und Schüler volljährig waren, konnten sie sich selbst entschuldigen. Die Präsenzprobleme nahmen zu. Da verfiel man auf die Idee des achtjährigen Gymnasiums. Nun fehlte plötzlich ein Jahr. Der Umfang des Lehrstoffs musste vermindert werden. Aber das war schwierig. Liebgewordene Inhalte einfach aufzugeben, fiel den Fachschaften schwer. Auch der Ausweg, nicht Lehrinhalte, sondern Kompetenzen zu vermitteln, war keiner. Ein Teil der Lehrerschaft hatte große Mühe, in Kompetenzen zu denken. Selbst Fortbildungen hatten keinen Erfolg. Die Eltern beklagten sich über den Zeitdruck, unter dem ihre Kinder stünden. Sportvereine und Musikschulen jammerten über Terminprobleme und sinkende Teilnehmerzahlen. G 8 wurde zum Inbegriff einer gescheiterten Reform. Und so drehte man das Rad zurück. Manche Bundesländer stellten ganz auf G 9 um, andere boten beides an. Man darf annehmen, dass die Rolle rückwärts bald allgemein sein wird. Dann können wir uns wieder über die Probleme von G 9 unterhalten; siehe oben.

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Politik

Gymnasiale Zunahme

Nein, es stimmt nicht, was vom Ministerium behauptet wird: dass die Übergangsquoten in die weiterführenden Schulen stabil seien. Im Gegenteil, jedes Jahr nimmt der Prozentsatz derer zu, die ins Gymnasium wollen. Man kann auch nicht sagen, der Übergang in die Gemeinschaftsschule stagniere, nein, er hat signifikant abgenommen. Die Zahlen sind auf der Homepage der Landesregierung nachzulesen. Man sollte sich die Lage nicht schönreden, sondern sie zur Kenntnis nehmen. Die gymnasiale Zunahme kann man zwar als „Abstimmung mit den Füßen“ deuten, als Beweis für die Attraktivität dieser Schulform. Aber man sollte zur Kenntnis nehmen, dass sich damit nicht erreichen lässt, was der Politikermund immer mal von sich gibt: Man wolle das Niveau des Gymnasiums halten. Hier gibt es kein Halten mehr. Das Niveau sinkt. Das bestätigen die Vergleichsstudien, das beklagen die Lehrerinnen und Lehrer, deren Kraft und Zeit von Fördermaßnahmen, Einzelhilfen für Schwächere, von ständigem Üben und immer wieder neu Erklären in Anspruch genommen werden. Anspruchsvolle, selbstständige Gedankengänge der Schüler, die Auseinandersetzung mit komplexen Sachverhalten, das Betreten unwegsamer intellektueller Bereiche, die kritische Auseinandersetzung mit der bedrohlichen Realität, dafür ist kaum noch Zeit. Das Gymnasium ist auf dem Weg zur Regelschule. Und die Gemeinschaftsschule? Sie arbeitet sich ab an ihrer unlösbaren Aufgabe: allen gerecht zu werden, jeden individuell zu fördern, dem Kind mit Defiziten und dem mit geistigen Ansprüchen jeweils das Seine zu geben, die Kluft zwischen den sozialen Schichten zu überwinden, die Fremden zu integrieren, die Schwachen und die Leistungswilligen zusammen sinnvoll arbeiten zu lassen. Das kann nicht gelingen. Wann werden es die Verantwortlichen schaffen, die schulischen Holzwege zu verlassen?

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Politik

Achtneunargumentationen

Derzeit liest man wieder einmal viel über die schlimmen Auswirkungen des achtjährigen Gymnasiums. Von „fehlender Reife mit achtzehn“ ist die Rede – als ob die jungen Leute mit neunzehn wesentlich reifer wären. Von der Unfähigkeit, nach zwölf Jahren Schule eine Studienentscheidung zu treffen ist zu lesen – als ob die nach dreizehn Jahren leichter fiele. Von langen Reisen statt eines „verfrühten Studiums“ ist die Rede – die waren übrigens beim Abitur nach neun Gymnasialjahren auch sehr beliebt, bei denen, die es sich leisten konnten. Sie erinnern an die einstigen Kavaliersreisen des Adels, auf denen sich die künftigen Herrscher „die Hörner abstoßen“ und nebenbei auch etwas „von der Welt“ sehen sollten. Häckerlings Meinung: Wenn die jungen Leute nach der Reifeprüfung derartige Unzulänglichkeiten aufweisen, dann fehlt es ihnen in der Tat an Reife. Aber an wem liegt dieses Defizit? Vielleicht halten die Eltern ihre Kinder zu lange in Unmündigkeit, statt ihnen etwas zuzumuten, vielleicht nehmen sie ihnen zu viel ab und geben ihnen zu wenige Chancen, eigenständig zu werden. Vielleicht versäumt es auch die Schule, die jungen Menschen zu fordern, Ihnen etwas abzuverlangen, sie zur Selbstständigkeit zu führen. Gelegentlich ist es geboten, den Gymnasien in Erinnerung zu rufen, dass sie nicht nur Lehrinhalte vermitteln, sondern auch erziehen sollen. Das jedenfalls ist ihr Auftrag, wie ihn das Schulgesetz formuliert. Ehe man den Rufen nach einem (übrigens teuren) neunten Schuljahr folgt, wäre eine Schulreform angezeigt, die vom Ziel her denkt, das da wäre: selbstständige Menschen in „die Welt“ zu entlassen.