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Ungelieferte Panzer

Der Verfasser bekennt, dass er nichts von Panzern versteht. Er hat auch nicht „gedient“ und erfüllt somit nicht einmal die Mindestvoraussetzungen für die militärischen Diskurse, die wir seit Monaten führen. Was er verstanden hat: Deutschland ist der Meinung, dass der russische Einmarsch in der Ukraine keinen Erfolg haben soll. Gegen einen solchen Einmarsch kann man mit Diplomatie offenbar wenig ausrichten. Vor dem 24. Februar 2022 hat man in dieser Hinsicht viel versucht. Es gab viele Besuche in Moskau. Auch Kanzler Scholz war dort, wenige Tage vor der russischen „Spezialoperation“. Auch ihm ist es nicht gelungen, den amtierenden Kreml-Herrscher von seinen Plänen abzubringen. Nach dem Beginn des Krieges war er – und offenbar waren es auch viele im Westen, möglicherweise einschließlich Scholz – der Meinung, er werde nur kurz dauern. Es ist anders gekommen. Offenbar ist die Ukraine militärisch nicht so unbedarft, wie wir das gedacht haben. Also hat man das „heimliche“ Kriegsziel – Russland verleibt sich die Ukraine ein – korrigiert. Nun heißt es: Russland darf den Krieg nicht gewinnen. Wir werden die Ukraine mit Waffen unterstützen, damit das nicht passiert. Zuerst haben wir dem Land Stahlhelme angeboten. Aber es hat sich gezeigt, dass man damit nur wenig im Krieg ausrichten kann. Dann haben wir uns durchgerungen, Munition zu liefern, schließlich sogar „kleine“ Panzer. Nun will die Ukraine „Kampfpanzer“, also den Leoparden, der unter dieser Rubrik läuft. Scholz lehnt das ab. Soll man sagen: bisher? Verzweifelt sucht der Neue im Verteidigungsministerium nach Ausflüchten, um nicht das tun zu müssen, was viele Verbündete im Westen fordern: liefern zu müssen. Er will erst einmal wissen, wie viele Leoparden wir haben. Interessant, dass der beklagenswerte Zustand der Bundeswehr schon beim Zählen beginnt. Das macht man offensichtlich nicht ständig.  Was will Scholz? Den Frieden? Den wollen wir alle. Aber wie soll er kommen? Soll die Ukraine militärisch unterliegen? Interessant, dass wir offenbar aus dem 2. Weltkrieg nichts gelernt haben oder vielleicht doch? Damals haben die Sowjetunion und das Deutsche Reich die Ukraine schon einmal besiegt.

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Ukrainische Geschichte

Es gibt allerlei, was man über die Ukraine weiß oder zu wissen meint, aber doch nicht richtig weiß. Warum beansprucht Russland diesen Staat als sein Eigentum? Sind seine Unabhängigkeitsbestrebungen eine Erscheinung des 20. Jahrhunderts oder gibt es sie schon länger? Wie haben sich die Zaren gegenüber der Ukraine verhalten, wie Lenin und Stalin? Was hat Deutschland mit dem Land zu tun? Steffen Dobbert zeichnet in „Ukraine verstehen“ (Verlag Klett-Cotta) die Geschichte, Politik und den Freiheitskampf des Landes nach. In diesem handlichen und gut zu lesenden Büchlein verschweigt Dobbert nicht die problematischen Phasen des Landes, als Nationalisten ohne Rücksicht agierten, aber er würdigt auch ausführlich die verschiedenen Freiheitskämpfe bis hin zu den Orangen Revolutionen. So entsteht das Bild eines Landes, dem seine Nachbarn immer wieder verwehren, eigenständig zu werden. Die russischen bzw. sowjetischen Nachbarn beuteten es brutal aus. Stalin ließ in den 1930er Jahren rücksichtslos Millionen verhungern, weil er das ukrainische Getreide devisenbringend verkaufen wollte. Das Deutsche Reich holte sich während der NS-Zeit Ukrainerinnen und Ukrainer als Fremdarbeiter: In ihnen sah man eh nur Menschen zweiten Ranges („Untermenschen“). Dass Russland ohne jeden begründbaren Anspruch das Ziel hat, sich diese „Grenzregion“ einzuverleiben, seine Rohstoffe zu nutzen und jede kulturelle Eigenheit, vor allem die Sprache, zu unterdrücken, wird in Dobberts Buch ausführlich begründet. Putins Ziele sind mit denen Stalins identisch: die Russifizierung der Ukraine, die Vernichtung der dortigen politischen Führung, die Zerstörung seiner Bindung an den Westen. Die Ukraine ist für ihn, den neuen Stalin, ein Teil des russischen Imperiums und hat kein staatliches Existenzrecht. Besonders interessant ist das 16. Kapitel dieses Buches, wo mit den Lügen und dreisten Behauptungen aufgeräumt wird, die die russische Propaganda und ihre deutschen Freunde über die Ukraine verbreiten.

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Geschichtliche Verantwortung

Deutschland habe gegenüber der Ukraine eine geschichtliche Verantwortung, heißt es. Was das konkret bedeutet, lässt sich im Roman „Sie kam aus Mariupol“ von Natascha Wodin nachlesen, für den sie 2017 den Preis der Leipziger Buchmesse erhielt. Sie erzählt darin von der mühsamen Recherche der Geschichte ihrer Mutter. Die hat sich 1956 36-jährig das Leben genommen. Wodins Mutter hat als Kind in Mariupol gelebt. Sie entstammte einer einst wohlhabenden ukrainischen Familie, die nach der kommunistischen Revolution (1917) ihr Vermögen verlor. In den 1920er Jahren herrschte in der Ukraine nach der Landreform Stalins bitterste Hungersnot. Die 30er Jahre waren geprägt vom stalinistischen Staatsterror. Wer als Gegner des Regimes galt, kam nach Sibirien oder wurde umgebracht. Unter den rund 20 Millionen Opfern waren auch viele Ukrainer. 1941 eroberte Hitlers Armee die Ukraine. Die Besatzungsmacht rekrutierte Wodins Mutter als Mitarbeiterin im Arbeitsamt von Mariupol. Als die Sowjets das Land zurückeroberten, floh sie wie zehntausende andere mit ihrem Mann ins Deutsche Reich. Mariupol wurde vom deutschen und sowjetischen Militär völlig zerstört. Bis Kriegsende arbeitete die Mutter als rassisch minderwertige „Ost-Arbeiterin“ unter katastrophalen Bedingungen in der Rüstungsindustrie. 1945 wurden diese Zwangsarbeiter von den Amerikanern als Displaced Persons in Lagern zusammengefasst. Eine Rückkehr in die weiter zur Sowjetunion gehörenden Ukraine hätte den sicheren Tod bedeutet, denn mit „Kollaborateuren“ der Deutschen machte man dort kurzen Prozess. Auch in Deutschland verachtete man diese ehemaligen Ost-Arbeiter. Wodins Mutter verfiel in Depression. Nach ihrem Freitod in der Regnitz blieben zwei Mädchen als Halbwaisen zurück. Ein bedrückendes Buch über NS-Opfer, die nicht im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung stehen.