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Gesellschaft Kirche

Tiefer Abgrund

Was in den Tiefen der Vergangenheit des bischöflichen Ordinariats in Freiburg verborgen ist und nun allmählich ans Licht kommt, stimmt traurig und macht zornig. Nicht nur, dass viele Kinder, vor allem Knaben, unter Priestern und Ordensleuten furchtbar zu leiden hatten, es war auch gang und gäbe, die Taten zu vertuschen und die Übeltäter der Rechtsverfolgung zu entziehen. Warum das? Weil das „Wohl der Kirche“ bzw. ihr „Image“ wichtiger war (oder ist?) als die Bestrafung der Täter und die Wiedergutmachung an die Opfer. Der Gedanke, dass Erzbischöfe das Recht gebeugt haben, macht gruseln. Dass sie jemals zur Rechenschaft gezogen werden, ist unwahrscheinlich. Ihre Kirche schützt sie auf Teufel komm raus. Jetzt rächt sich, dass man den Religionsgemeinschaften ein eigenes Disziplinarrecht zugebilligt hat. Sie können sich der staatlichen Gerichtsbarkeit entziehen – ein Unrechtssystem im Rechtsstaat. Das ist nicht nur ein Skandal, der auch unsere Demokratie beschädigt, es ist auch der Niedergang einer Institution, deren Aufgabe es einst war, über unser Wertesystem zu wachen, der Politik und ihren Akteuren auf die Finger zu sehen und der Bevölkerung den Weg durch die Krise unserer Zeit zu weisen. Nun hat sich die Sache umgekehrt: Man muss der Kirche, den Kirchen auf die Finger sehen.

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Gesellschaft Kirche

Zerbröselnde Kirchen

Für die katholische Kirche kommt es gerade knüppeldick. Solide Gutachten weisen nach, in welch laxer Weise man intern mit Kinderschändern umgegangen ist. Man kann das ja verstehen: Die Kirche lebt schon immer vom Corpsgeist und von ihrer moralischen Exklusivität. Letztere pflegt man durch große Worte, Ersteren durch das Schweigegebot. Wer redet, wird bestraft. Wer das Nest beschmutzt, fliegt raus. Keiner verkörpert das so überzeugen wie der ehemalige Papst. Er ist der Vollkommene schlechthin, einer, der nie Fehler gemacht hat, eine Ikone der Moralität. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, leugnet er jegliche Verstrickung ins moralisch Minderwertige. Das hat Ähnlichkeiten mit Russland, das zwar alle möglichen Schweinereien anstellt, aber nie zugibt, daran beteiligt zu sein. Gespannt sein darf man, was die Kirche mit den 100 anstellt, die sich gestern als nicht heterosexuell geoutet haben. Ihnen müsste eigentlich gekündigt werden, weil die katholische Kirche derlei Gott nicht wohlgefällige Schweinereien nicht akzeptieren kann. Die Verdrossenheit der katholischen Gläubigen angesichts der schlechten Performanz ihrer Kirche sei auf einem neuen Höhepunkt angekommen. Und wo stehen die Evangelischen? Auf sie färbt das schlechte Image ihrer katholischen Brüder und Schwestern ab. Kirche ist Kirche. Die Austrittszahlen sind hoch. Was tun? Die Geschichte aussitzen? Weitermachen wie bisher? Aber auch dieses Bisher hat etwas Trübseliges. Gottesdienst mit Maskenpflicht und dem Hinterlassen der persönlichen Daten, Sitzen auf Abstand und Vermeiden jeden Gesprächs post festum, Predigten, die sich um die brennenden Fragen herumdrücken … Wo ist der neue Geist, der große Aufbruch, das Beschreiten neuer Wege, das ständig beschworen wird? Statements der Kirchenleitungen zu Corona, Klima, der Spaltung und der geistigen Verödung unserer Gesellschaft schaffen es nicht einmal in die Tagesschau. Denn so ist es nun mal: Was nicht zur Topmeldung wird, bleibt ohne Wirkung. Was bleibt: das Zuschauen beim Zerbröseln der Kirchen.

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Apokalyptisches Szenario

Als ob er es geahnt hätte: Robert Harris schildert in seinem jüngsten Roman (erschienen im Heyne-Verlag) den Kollaps unseres Systems, aus der Sicht des Futur 2. Wie wird das gewesen sein, damals, im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts? Der Roman „Der zweite Schlaf“ spielt im Mittelalter (1468) und zugleich in der Zukunft. Im Jahr 2025 – so die Fiktion – ist die hochtechnisierte Zivilisation zusammengebrochen. Der ganze Lebensalltag war damals nur noch elektronisch gesteuert. Daten und Programme, von denen alles abhing, lagerten in Clouds. Doch plötzlich funktionierte nichts mehr. Warum? Vielleicht war das System zu kompliziert geworden. Jedenfalls brach die Zivilisation, wie wir sie kennen, zusammen, die Menschen gerieten in Panik. Die Kirchen jener Zeit deuteten die Ereignisse als Weltuntergang und legten, dem letzten Buch der Bibel folgend, den Beginn einer neuen Zeitrechnung fest. Mit dem Jahr 666 (vgl. Offenbarung 13) begann eine andere Ära. Harris erzählt die Geschichte des jungen Priesters Fairfax, der in ein englisches Dorf geschickt wird, um den jüngst verstorbenen Pfarrer zu bestatten. Der war offenbar einer jener Ketzer, die trotz des Verbots der Kirche die Vergangenheit erforschten. Fairfax stößt auf Bücher, die von den Ereignissen vor über 800 Jahren berichten. Allmählich wird ihm klar, dass die Kirche aus eigenem Interesse ein System der Unterdrückung geschaffen hat. Fairfax beteiligt sich an Ausgrabungen, bei denen merkwürdige Dinge zum Vorschein kommen: Plastikteile, Reste von Fluggeräten, kleine Kästen, auf denen ein angebissener Apfel zu sehen ist. Es muss bei diesem „Weltuntergang“ furchtbar zugegangen sein. Eine Hungersnot brach aus. Die Menschen kämpften ums Überleben. Dabei gingen sie brutal und rücksichtslos vor. Jeder wurde sich selbst zum Nächsten. Die alte Gesellschaft, unsere heutige also, versank im Chaos. Harris zeichnet ein düsteres Bild unserer Gegenwart. Doch auch die neue Zeit wird nicht besser sein, meint er. Offenbar ändern sich die Menschen nicht.