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Verschossene Bälle

Als sie den Ball mit dem Kopf ins Tor befördert hatte, lag auch die Spielerin Popp im Tor und wollte oder konnte nicht mehr aufstehen. Ein Bild mit Symbolkraft. Sie haben sich angestrengt, aber der Erfolg stellte sich nicht ein. Besagtes Tor wurde wegen „Abseitsstellung“ nicht gewertet. Nun ist der Deutsche Fußballbund in der Krise und wenn man in die Zeitungen und online-Dienste blickt, ist die Krise gewaltig. Der Fußball war lange Zeit das Sinnbild für deutsche Stärke. Nun siecht nicht diese Sportart, es siecht das ganze Land. Woran liegt es? An vielem, unter anderem an der fehlenden Bereitschaft, sich anzustrengen. Man schaue nur auf die deutschen Bundesjugendspiele. Sie sind zum Ringelpiez mit Anfassen degeneriert. Anstrengung Fehlanzeige. Und in der Schule werden die Anforderungen ständig gesenkt, um den Lernenden Misserfolge möglichst zu ersparen. Der Leistungsgedanke ist so diskriminiert, dass kaum jemand mehr wagt, sie zu erbringen. Aber mit Friede, Freude, Eierkuchen trifft man nichts Tor, sondern verschießt die Bälle. Es heißt, dass in der Arbeitswelt die „Work-Life-Balance“ wichtiger sei als die Karriere. Das klingt gut und ist schön für die, denen diese Balance gelingt. Aber wenn dann die Firmen schwächeln, wenn sie Mitarbeiter entlassen, ins Ausland ziehen oder ganz aufgeben, dann ist der Jammer groß. Auch politisch schießen wir ständig daneben. Offenbar fällt niemand etwas gegen die boomende Rechtspartei ein. Sie schießt Tore, während die demokratischen Parteien im Abseits stehen. Wie die deutschen Fußballfrauen fehlt ihnen das Erfolgskonzept zum Gewinn dieses entscheidenden Spiels um die Demokratie.

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Kaltes Deutschland

Fatma Aydemirs Roman „Dschinns“ (2022) steht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. Ein Dschinn ist in der islamischen Glaubenswelt ein Geistwesen, ein unsichtbares zwar, aber trotzdem von den Menschen wahrnehmbares. Die erste Geschichte in diesem Roman handelt vom Sterben Hüseyins, kurz nachdem er die mühsam ersparte Wohnung in Istanbul bezogen hat. Diese Geschichte wird von einem Dschinn erzählt, ebenso die letzte, bei der wenig später Hüseyins Frau Emine in besagter Wohnung bei einem Erdbeben zu Tode kommt. Beide sind kurdischer Herkunft, verbergen das aber, weil sie Angst vor Verfolgung haben und ihre Kinder nicht in die kurdischen Probleme hineinziehen wollen. Sie haben des Geldes wegen Jahrzehnte in Deutschland gelebt, das in diesem Roman als ein Ort der Kälte und des nationalistischen Fremdenhasses gezeichnet wird. Das Ehepaar hat fünf Kinder. Das älteste Kind ist ein Mädchen, das nach altem Brauch an den Bruder Hüseyins abgegeben wird, weil dessen Ehe kinderlos ist. Emine verwindet diesen Verlust nie. Sevda, die zweite Tochter, wird von der Mutter wenig geliebt. Der Sohn Hakan ist ein Loser mit krimineller Energie, die Tochter Peri bricht aus den Familienkonventionen aus und führt als Studentin an der Universität Frankfurt ein recht freizügiges Leben. Der Jüngste, Ümit, erkennt allmählich seine homosexuelle Orientierung, darf sich aber nicht offen dazu bekennen. Ein Arzt, der eigentlich ein Quacksalber ist, soll ihn von seiner „falschen Haltung“ befreien. Es ist eine sehr komplizierte Familie, von der hier erzählt wird. Ob ihr Denken und Handeln typisch für hiesige türkisch-kurdische Familien sind, weiß ich nicht, bezweifle aber, dass das negative Deutschlandbild von der ganzen türkischen Community geteilt wird.

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Geschichtliche Verantwortung

Deutschland habe gegenüber der Ukraine eine geschichtliche Verantwortung, heißt es. Was das konkret bedeutet, lässt sich im Roman „Sie kam aus Mariupol“ von Natascha Wodin nachlesen, für den sie 2017 den Preis der Leipziger Buchmesse erhielt. Sie erzählt darin von der mühsamen Recherche der Geschichte ihrer Mutter. Die hat sich 1956 36-jährig das Leben genommen. Wodins Mutter hat als Kind in Mariupol gelebt. Sie entstammte einer einst wohlhabenden ukrainischen Familie, die nach der kommunistischen Revolution (1917) ihr Vermögen verlor. In den 1920er Jahren herrschte in der Ukraine nach der Landreform Stalins bitterste Hungersnot. Die 30er Jahre waren geprägt vom stalinistischen Staatsterror. Wer als Gegner des Regimes galt, kam nach Sibirien oder wurde umgebracht. Unter den rund 20 Millionen Opfern waren auch viele Ukrainer. 1941 eroberte Hitlers Armee die Ukraine. Die Besatzungsmacht rekrutierte Wodins Mutter als Mitarbeiterin im Arbeitsamt von Mariupol. Als die Sowjets das Land zurückeroberten, floh sie wie zehntausende andere mit ihrem Mann ins Deutsche Reich. Mariupol wurde vom deutschen und sowjetischen Militär völlig zerstört. Bis Kriegsende arbeitete die Mutter als rassisch minderwertige „Ost-Arbeiterin“ unter katastrophalen Bedingungen in der Rüstungsindustrie. 1945 wurden diese Zwangsarbeiter von den Amerikanern als Displaced Persons in Lagern zusammengefasst. Eine Rückkehr in die weiter zur Sowjetunion gehörenden Ukraine hätte den sicheren Tod bedeutet, denn mit „Kollaborateuren“ der Deutschen machte man dort kurzen Prozess. Auch in Deutschland verachtete man diese ehemaligen Ost-Arbeiter. Wodins Mutter verfiel in Depression. Nach ihrem Freitod in der Regnitz blieben zwei Mädchen als Halbwaisen zurück. Ein bedrückendes Buch über NS-Opfer, die nicht im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung stehen.