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Unregierbare Republik

Die deutschen Fahnen hängen hoch. Sollten sie nicht halbmast hängen? Können wir uns angesichts der aktuellen politischen Lage der Träumerei hingeben, Europameister zu werden? Erwarten wir allen Ernstes von den Fußballern das, was die Regierenden nicht mehr schaffen – den Ball ins Tor zu bringen oder anders gesagt: politische Entschlüsse zu fassen? Es ist ja nicht nur der Osten, von dem die hiesige Zeitung heute unkt, er werde unregierbar. Auch im Westen mehren sich die Stimmen, die derlei befürchten. Woran liegt es? In den östlichen Ländern rächen sich jetzt die Versäumnisse bei der „Wende“. Sie ging zu schnell. Man versprach „blühende Landschaften“ und hat nun einen endlosen braunen Acker. Man pumpte Geld ins marode System und hoffte auf „Dankbarkeit“. Doch das Gegenteil ist eingetreten. Im Osten pfeift man auf den Westen. Man wählt eine undemokratische Partei, weil angeblich die Demokratie versagt habe. Man wärmt sich am Nationalismus und geilt sich an den Nazi-Sprüchen der AEFDE auf. Die „Westparteien“ spielen keine Rolle mehr. Und die Berliner Regierung? Sie schafft es nicht, allen im Lande zu zeigen, wie es geht. Wie man auch bei unterschiedlicher Grundeinstellung tragbare Kompromisse findet; kurz: Wie demokratisches Regieren funktioniert. Oder reißen sie sich doch noch zusammen?

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Verschossene Bälle

Als sie den Ball mit dem Kopf ins Tor befördert hatte, lag auch die Spielerin Popp im Tor und wollte oder konnte nicht mehr aufstehen. Ein Bild mit Symbolkraft. Sie haben sich angestrengt, aber der Erfolg stellte sich nicht ein. Besagtes Tor wurde wegen „Abseitsstellung“ nicht gewertet. Nun ist der Deutsche Fußballbund in der Krise und wenn man in die Zeitungen und online-Dienste blickt, ist die Krise gewaltig. Der Fußball war lange Zeit das Sinnbild für deutsche Stärke. Nun siecht nicht diese Sportart, es siecht das ganze Land. Woran liegt es? An vielem, unter anderem an der fehlenden Bereitschaft, sich anzustrengen. Man schaue nur auf die deutschen Bundesjugendspiele. Sie sind zum Ringelpiez mit Anfassen degeneriert. Anstrengung Fehlanzeige. Und in der Schule werden die Anforderungen ständig gesenkt, um den Lernenden Misserfolge möglichst zu ersparen. Der Leistungsgedanke ist so diskriminiert, dass kaum jemand mehr wagt, sie zu erbringen. Aber mit Friede, Freude, Eierkuchen trifft man nichts Tor, sondern verschießt die Bälle. Es heißt, dass in der Arbeitswelt die „Work-Life-Balance“ wichtiger sei als die Karriere. Das klingt gut und ist schön für die, denen diese Balance gelingt. Aber wenn dann die Firmen schwächeln, wenn sie Mitarbeiter entlassen, ins Ausland ziehen oder ganz aufgeben, dann ist der Jammer groß. Auch politisch schießen wir ständig daneben. Offenbar fällt niemand etwas gegen die boomende Rechtspartei ein. Sie schießt Tore, während die demokratischen Parteien im Abseits stehen. Wie die deutschen Fußballfrauen fehlt ihnen das Erfolgskonzept zum Gewinn dieses entscheidenden Spiels um die Demokratie.

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Kaltes Deutschland

Fatma Aydemirs Roman „Dschinns“ (2022) steht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. Ein Dschinn ist in der islamischen Glaubenswelt ein Geistwesen, ein unsichtbares zwar, aber trotzdem von den Menschen wahrnehmbares. Die erste Geschichte in diesem Roman handelt vom Sterben Hüseyins, kurz nachdem er die mühsam ersparte Wohnung in Istanbul bezogen hat. Diese Geschichte wird von einem Dschinn erzählt, ebenso die letzte, bei der wenig später Hüseyins Frau Emine in besagter Wohnung bei einem Erdbeben zu Tode kommt. Beide sind kurdischer Herkunft, verbergen das aber, weil sie Angst vor Verfolgung haben und ihre Kinder nicht in die kurdischen Probleme hineinziehen wollen. Sie haben des Geldes wegen Jahrzehnte in Deutschland gelebt, das in diesem Roman als ein Ort der Kälte und des nationalistischen Fremdenhasses gezeichnet wird. Das Ehepaar hat fünf Kinder. Das älteste Kind ist ein Mädchen, das nach altem Brauch an den Bruder Hüseyins abgegeben wird, weil dessen Ehe kinderlos ist. Emine verwindet diesen Verlust nie. Sevda, die zweite Tochter, wird von der Mutter wenig geliebt. Der Sohn Hakan ist ein Loser mit krimineller Energie, die Tochter Peri bricht aus den Familienkonventionen aus und führt als Studentin an der Universität Frankfurt ein recht freizügiges Leben. Der Jüngste, Ümit, erkennt allmählich seine homosexuelle Orientierung, darf sich aber nicht offen dazu bekennen. Ein Arzt, der eigentlich ein Quacksalber ist, soll ihn von seiner „falschen Haltung“ befreien. Es ist eine sehr komplizierte Familie, von der hier erzählt wird. Ob ihr Denken und Handeln typisch für hiesige türkisch-kurdische Familien sind, weiß ich nicht, bezweifle aber, dass das negative Deutschlandbild von der ganzen türkischen Community geteilt wird.