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Umstrittener Regelbetrieb

Endlich haben die rot-schwarzen Koalitionäre ein Thema gefunden, über das sie sich publikumswirksam streiten können. Kann nach den Sommerferien an den Schulen wieder der „Regelbetrieb“ losgehen, wie es die KMK vereinbart hat und wie es die Ministerin E. beteuert, oder ist das wenig wahrscheinlich, wie der Ministerpräsident K. mutmaßt? Diese Differenz zwischen den Aussagen der beiden Wahlkämpfer ist gar keine. K. ist skeptisch, weil über 20 % der Lehrkräfte fehlten, sie seien „vulnerabel“, also verletzlich oder gefährdet, wenn das Virus sie erwischt. E. ist optimistisch, muss aber einräumen, dass es wegen der fehlenden Lehrkräfte nicht ohne Einschränkungen gehen werde. Ein Streit um des Kaisers Bart. Oder, um es paradox auszudrücken: Wir werden im Herbst an den Schulen einen ungeregelten Regelbetrieb haben. Der müsste allerdings klug geregelt werden. Die Vulnerablen sind ja nicht krank, sondern nur schützenswert, wie wir alle eigentlich. Sie können arbeiten, in der Schule unter Einhaltung der Hygieneregeln oder zu Hause am Bildschirm. Steht ihre Stunde an, so Häckerlings Vorstellung, werden sie „zugeschaltet“. Falls das von einem Nebenraum des Schulhauses aus geschieht, einem Studio sozusagen, wäre das fast wie normaler Unterricht. Ob die Klasse eine zusätzliche Aufsicht braucht oder ob Videoüberwachung ausreicht, müsste von Fall zu Fall entschieden werden. Man könnte eine Hoffnung haben: dass die Schützenswerten dann doch lieber ins Klassenzimmer gehen, wenn ihnen die Videoauftritte zu lästig sind. Oder werden sie nur darüber jammern, was man ihnen zumutet? Sorry, aber ich sehe in den Geschäften, den Lokalen und auf den Flughäfen viele, die mir ziemlich vulnerabel vorkommen. Warum sollte man sie nicht im Unterricht sehen?

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Mühsame Schulbildung

Wenn ein Schuljahr beginnt, muss Aufschwung signalisiert werden. Das Kultusministerium von B-W schwingt sich zu organisatorischen Neuerungen auf. Es schafft ein neues „Institut“ und ein „Zentrum“ und schafft ein bestehendes Institut ab. „Zu Beginn des Jahres 2019 richten wir das „Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung“ und das „Institut für Bildungsanalysen“ ein. Damit erhält die Kultusverwaltung eng miteinander verzahnte Einrichtungen, die die Qualität der Schulen dauerhaft sichern sollen. Was nicht gesagt wird: Das Landesinstitut für Schulentwicklung wird aufgelöst. Es befindet sich bereits in Auflösung, was die Schulentwicklung lähmt. Und was bringen die neuen Einrichtungen? Das „Institut für Bildungsanalysen“ soll mit einem systematischen Bildungsmonitoring eine solide Datenbasis bereitstellen. Diese dienen dann für datenbasierte und wissenschaftlich unterlegte bildungspolitische Entscheidungen. Ein Institut braucht Jahre, bis es zuverlässig arbeitet, danach dauert es weitere Jahre, bis es „solide“ Daten liefern kann und noch einmal Jahre, bis die Bildungspolitik Entscheidungen trifft. Und diese umzusetzen dauert ebenfalls Jahre. In frühestens einem Jahrzehnt also ist mit Fortschritten zu rechnen. Weiter im ministeriellen Text: Um zu wissen, wo das Land steht, sollen zentrale Lernstanderhebungen über alle Schularten hinweg Standard werden. Diese Lernstandserhebungen in Gestalt von Vergleichsarbeiten hatten wir bereits. Dann wurden sie ausgehebelt. Nun werden sie neu entwickelt. So stellt man sich selbst ein bildungspolitisches Bein. Und was noch? Auch Fortbildungs- und Unterrichtskonzepte werden wir künftig vor ihrem Einsatz auf ihre Wirksamkeit hin überprüfen. Mit zentralen Vorgaben des „Zentrums für Schulqualität und Lehrerbildung“ gewährleisten wir, dass wir künftig landesweit Angebote in hoher und gleicher Qualität zur Verfügung stellen. Wer erstellt, wer prüft die Unterrichtskonzepte? Wer verbessert sie nach der Prüfung? Wie werden sie eingeführt? Wer überprüft, ob und wie sie eingeführt werden? Das „Zentrum“ wird einiges zu tun haben. Vielleicht ist es ja schneller als das „Institut“.

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Verlorene Orientierung

Mit dieser Überschrift locken die Stuttgarter Nachrichten zur Lektüre eines Interviews mit dem Bildungsforscher Ulrich Trautwein. Er stellt darin fest, dass der Niedergang des baden-württembergischen Schulsystems schon vor zwei Jahrzehnten begonnen habe. Häckerling meint, er habe sich schon in den 1990er Jahren abgezeichnet. Trautwein nennt drei Faktoren, die erfolgreichen Unterricht ausmachen. Ich greife den erstgenannten heraus, das Classroom-Management. Einfacher ausgedehnt: Wie viel Zeit bleibt für den eigentlichen Unterricht im Klassenzimmer übrig, wenn man die üblichen „Zeitfresser“ abzieht: das Zuspätkommen der Lehrkraft (üblich sind mindestens drei Minuten), den Abbau des Chaos zu Beginn der Stunde (keiner sitzt an seinem Platz), die Überprüfung der Anwesenheit („Weiß jemand, warum Fritz fehlt?“), den Kampf gegen Störungen durch Schwätzen und Unaufmerksamkeit, Durchsagen der Schulleitung (“Ich bitte das Kollegium in der großen Pause zu einer Besprechung ins Lehrerzimmer“), allerlei organisatorischen Kleinkram (Einsammeln von Entschuldigungen oder unterschriebenen Zetteln), sinnlose oder auch sinnvolle Schülerfragen, die Anteilnahme an Schülerproblemen („Otto hat mich geschubst“). Nicht dass dies alles unnötig wäre, ein gutes Klassenklima ist eine notwendige Bedingung für gelingenden Unterricht, aber alles zusammen reduziert die eigentliche Unterrichtszeit deutlich, es schadet der Konzentration und lässt die Lehrkraft am Ende den “Classroom” in dem Gefühl verlassen, wieder einmal das intendierte Pensum nicht geschafft zu haben. Hier bedarf es größerer Bewusstheit und organisatorischer Ideen. Man könnte ab und zu einen Schüler oder besser eine Schülerin beauftragen, die Netto-Unterrichtszeit einer Schulstunde zu messen und über die Unterbrechungen buchzuführen.