Endlich haben wir mal wieder ein Thema, bei dem sich grundsätzliche Positionen vertreten lassen. Ist der Mitgliederentscheid der SPD über den Entwurf des Koalitionsvertrags bedenklich oder erfreulich?
Wer ihn erfreulich findet, verweist auf den Zuwachs an Demokratie. In den Worten des SPD-Erzengels Gabriel: „Es ist demokratischer, wenn Hunderttausende über eine Sache bestimmen, als wenn das nur ein paar Hundert tun.“ Wäre es in der Logik dieser Argumentation nicht noch demokratischer, alle Wahlberechtigten der Bundesrepublik Deutschland darüber abstimmen zu lassen? Und noch demokratischer könnten wir uns fühlen, wenn auch jedes Gesetz dem Volk zur Abstimmung vorgelegt würde. Dann, endlich, hätten wir alle Bürger im Boot.
Die erhöhten Kosten für die Wahlakte ließen sich teilweise kompensieren durch eine Verkleinerung des Bundestags, dessen Bedeutung dann gegen Null schrumpfen würde. Spätestens da kommen vielleicht auch dem glühendsten Vertreter dieser Demokratisierungswelle einige Zweifel.
Bisher, so dachte ich, war diese Republik eine repräsentative Demokratie. Wir haben Leute gewählt, die politische Entscheidungen treffen sollten. Dafür bekommen sie Zeit und Geld. Sie sollten mit Sachverstand und verantwortungsbewusst handeln, möglichst frei von Beeinflussung. Ein „imperatives Mandat“ galt bisher als verfassungswidrig. Das scheint sich nun zu ändern, mit problematischen Folgen, wie ich meine. Am Beispiel der SPD: Wenn die Mitglieder den Vertrag ablehnen sollten, die Bundestagsabgeordneten der SPD ihn aber gut fänden – was dann? Oder umgekehrt: Was soll geschehen, wenn das Parteivolk zustimmt, eine größere Gruppe von Abgeordneten aber dagegen ist? Das wird natürlich nicht passieren; denn welcher Abgeordnete würde sich gegen ein Mehrheitsvotum des Parteivolks stemmen? Er muss, ob er will oder nicht, seine Freiheit auf dem Altar der Basisdemokratie opfern.