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Lernen oder scheitern

Dieser Tage geisterte eine Idee durch die Presse, wie man die Zahl der Nichtversetzten weiter senken könnte: Man muss mit ihnen lernen, genauer: ihnen beim Lernen eine Hilfe sein. Gedacht ist an jene Schülerinnen und Schüler (in Baden-Württemberg), die eigentlich „durchfallen“ würden, denen man aber eine noch Chance geben will, nämlich eine probeweise Versetzung, die dann vier Wochen nach Schuljahrsbeginn überprüft wird. Dieses Instrument gibt es schon seit Jahren, es wird auch in Maßen eingesetzt, aber nicht immer mit Erfolg.

Wer die Chance dieser Probeversetzung bekommt, hat rund zwei Monate Zeit, ihr gerecht zu werden. Er/Sie muss in den Fächern, die nicht „ausreichend“ waren, den Lehrstoff des vergangenen Schuljahrs nachholen, ohne den neuen zu versäumen. Diese Aufgabe findet ihren Niederschlag in einer „Zielvereinbarung“. Leider ist das keine Vereinbarung über den Weg, der erfolgreich zu diesem Ziel führt. Es ist keine Lernvereinbarung und auch keine Lernbegleitungsvereinbarung. Man lässt die jungen Leute allein oder überlässt es den Eltern oder Nachhilfe-Instituten, den Weg zum Ziel zu begleiten.

Die Idee ist nun, dass diese Lernbegleitung von Lehrkräften der Schule übernommen wird. Das wäre eine zusätzliche Aufgabe, aber auch eine zusätzliche Belastung der Lehrer, und deshalb ließ der Aufschrei der Lehrerverbände nicht auf sich warten. Häckerling kann diesen Schrei nachvollziehen, deshalb vertritt er eine andere Idee: Man könnte doch, statt sie Ende Juli zu entlassen, fertig ausgebildete Referendarinnen und Referendare, freiwillig natürlich, mit der Aufgabe betrauen, solche zur Probe versetzte Schüler im August und September zu begleiten. Die könnten das. Ganz nebenbei bekämen sie damit noch zusätzliche Erfahrungen mit schwächeren Schülern. Das würde ihre Lehrkompetenz stärken.

(Blog-Eintrag Nr. 184)

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Unpädagogische Nichtversetzung 2: Vorschlag

Mir wurde gesagt, es sei leicht, gegen die Versetzung und vor allem Nichtversetzung zu polemisieren, ohne eine Alternative zu beschreiben. Offenbar fällt es vielen hierzulande schwer, sich eine Schule vorzustellen, die ohne dieses Instrument auskommt. Daher will ich nun ein paar ergänzende Gedanken zu diesem Thema äußern.

Man kann in Deutschland nicht einfach etwas abschaffen, man kann es nur behutsam ändern, sonst ist die Erregung zu groß. Daher schlage ich vor, die Versetzungsordnung von Baden-Württemberg zunächst nur ein wenig zu ändern. Dabei bleibe ich der Einfachheit halber beim Gymnasium. Es gibt eine Regelung, die man Versetzung auf Probe nennt. Sie gewährt einen Aufschub, eine „Gnadenfrist“, von etwa einem Vierteljahr. Etwa Mitte Oktober, also rund vier Wochen nach dem Beginn des neuen Schuljahrs wird jemand, der nach seinen Noten vom Juli eigentlich nicht versetzt werden konnte, noch einmal schriftlich und mündlich geprüft. Er muss nach der Probezeit zeigen, dass er in den Fächern, die mit einer nicht ausreichenden Leistung abgeschlossen wurden, sowohl die wesentlichen Kompetenzen des vorausgegangen Schuljahrs erworben als auch den neuen „Stoff“ insoweit verstanden hat. Diese Prüfung wird benotet. Die neue Note, die „Oktober-Note“ ersetzt die vom Juli. Die Versetzungsentscheidung wird dann auf dieser Grundlage neu getroffen. Wer es nun geschafft hat, darf in seiner Klasse bleiben, ist also doch noch versetzt worden.

Mein Vorschlag: diese Regelung, die bisher eine eher seltene Ausnahme darstellt, zum Normalfall erheben. Will die Klassenkonferenz davon abweichen, muss sie das einstimmig wollen und begründen.

Bei der Versetzung auf Probe ist nach der geltenden Regelung eine Zielvereinbarung mit dem Schüler zu treffen. Das ist eine Art Programm zum Nachlernen. Ich würde dem auf Probe Versetzten zusätzlich einen Tutor zur Seite stellen, der ihn laufend berät.

Und wer tatsächlich ein ganzes Schuljahr wiederholen soll, mit dem wird ebenfalls eine Zielvereinbarung getroffen, auch er bekommt eine ständige beratende Begleitung. So könnte der Erfolg der Wiederholung steigen. Und nur so sehe ich einen Sinn im Wiederholen eines ganzen Schuljahrs.

Da jede vermiedene Wiederholung des Schuljahrs dem Staat Geld spart, könnte ein Teil davon dazu verwendet werden, die Tutoren zu honorieren.

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Unpädagogische Nichtversetzung 1: Daten

Unter den Betroffenen nannte man es einst „eine Ehrenrunde drehen“. Diese Formulierung verlieh dem Sitzenbleiben, der Nichtversetzung am Ende eines Schuljahrs, einen Hauch von Besonderheit: nur Sieger drehen Ehrenrunden. Auch wird aus dem statischen Sitzen Mobilität, denn Runden werden gefahren. Allerdings beschränkt sich die Bewegung in Wirklichkeit auf einen Wechsel der Klasse. Dort allerdings langweilt man sich ein Jahr lang und/oder nervt die Lehrer. Ein Lebensjahr wird sinnlos vertan, häufig jedenfalls.

Wir wissen nicht, wie viele Sitzenbleiber das kommende Schuljahr bestehen und mit welchem Erfolg. Wir wissen auch nicht, wem das Wiederholen tatsächlich etwas gebracht hat. Ich vermute, dass es nicht viele sind, sicher nicht mehr als der Hälfte aller Sitzenbleiber.

Am Ende des Schuljahrs 2007/2008 sind 2,5% aller Gymnasiasten nicht versetzt worden; dabei sind diejenigen nicht mitgerechnet, die das Abitur nicht auf Anhieb geschafft haben. 2,5%, das waren 6849 Schülerinnen und Schüler, allerdings bildeten Letztere die Mehrheit (3,2% Jungen gegenüber 1,8% Mädchen). Die meisten Nichtversetzungen gab es am Ende der Klasse 10 (4,3%) und in der Region Stuttgart (2,9%), zu denen Böblingen und der Rems-Murr-Kreis gehören.

Leider macht das Statistische Landesamt keine Angaben über die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die auf Probe versetzt wurden und diese Probezeit bei den Nachprüfungen im Oktober bestanden haben. Wir wissen auch nicht, wie viele nach §1,(3) der Versetzungsordnung versetzt worden sind, bei denen der Zeugniskonvent also der Meinung war, sie könnten es trotz ihrer schlechten Noten im kommenden Jahr schaffen.

Fast siebentausend Wiederholer allein in den Gymnasien des Landes Baden-Württemberg. Was das den Steuerzahler wohl kostet? Und was es letztendlich bringt? Werden die Wiederholer pädagogisch begleitet? Hat man ein Auge auf sie? Werden sie gefördert? Ich vermute: eher nicht.

Was soll das also, dieses Nichtversetzen? Schon die Sprache ist verräterisch: Man lässt jemanden „durchfallen“ – wo fällt er (oder sie) hin? Jemand bleibt „sitzen“ – und wer hilft ihm (oder ihr) aufzustehen und mit mehr Motivation die Schulzeit zu durchlaufen.