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Ausgesetzte Nichtversetzung

Es war zu erwarten, dass man im Kultusministerium zu dieser Entscheidung gekommen ist. Nach einem irregulär verlaufenen Schuljahr lässt sich nicht mehr solide über die Versetzung oder Nichtversetzung der Schülerinnen und Schüler entscheiden. Heißt das, alle werden „automatisch“ ins nächste Schuljahr übernommen? Im Prinzip ja, aber das allein kann es nicht sein. Es gibt gewiss Schüler, bei denen sich schon im März (also einige Wochen nach der Halbjahresinformation) abzeichnete, dass sie große Probleme haben würden, den Anforderungen der folgenden Klasse gerecht zu werden. Ihnen sollte man raten, die Klasse freiwillig zu wiederholen. Da mit einiger Wahrscheinlichkeit auch das Schuljahr 2020/2021 nicht „normal“ verlaufen wird, wären in diesem Kontext einige grundsätzliche Überlegungen angebracht. Die Wiederholung eines Schuljahrs ist unter Fachleuten umstritten. Sie ist teuer und oft wirkungslos. Sinnvoll ist sie nur dann, wenn es gelingt, den Lernenden zu einer Änderung seines Arbeitsverhaltens zu bewegen. Das bedarf aber der intensiven Begleitung. Ihn oder sie einfach „laufen“ zu lassen, wäre fahrlässig. Im Übrigen bietet die Versetzungsordnung noch andere Möglichkeiten: Man kann jemand probeweise versetzen und im Oktober eine neue Entscheidung treffen, evtl. nach einer Art „Zwischenprüfung“. Man kann die Versetzungsentscheidung auch aufschieben bis zum Ende des nächsten Halbjahrs, also bis Ende Januar. Wenn es sich dann als sinnlos erweist, dass der Schüler trotz eklatanter Schwächen „einfach“ weitermacht, ist die Rückversetzung (oder das Verlassen der Schule) möglicherweise der bessere Weg. Um solche Probleme zu minimieren, muss man den Schülern mit Defiziten zusätzliche Aufmerksamkeit und Förderung zuteilwerden lassen, zum Beispiel auch in der letzten Sommerferienwoche. Diese (sechste) Woche ist bekanntlich schon immer dafür gedacht, das neue Schuljahr vorzubereiten. Dazu könnte es aktuell auch gehören, virusbedingte Nachteile einzelner Schüler auszugleichen. Am Ende hätten alle was davon.

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Nichtversetzung

Ein Jammern und Wehklagen geht durch die Presse. Endlich hat man ein Sommerthema gefunden, das die Herzen bewegt: die Zunahme der nichtversetzten Fünft- und Sechstklässler in den Realschulen und Gymnasien. In diesen Klagegesang stimmen auch jene Gazetten munter ein, die einst den mutigen Fortschritt der Grün-Roten – die Abschaffung der Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung – nicht genug preisen konnten. Jetzt wissen es die Stuttgarter Nachrichten besser: Das war ein Fehler.

Dem will ich nicht widersprechen. Es war abzusehen, dass die Freigabe des Übergangs in die weiterführenden Schulen zu Fehlentscheidungen der Eltern führen würde. Eine Beratung wurde systematisch unterbunden. Selbst die freiwillige Vorlage der Empfehlung (oder auch Nichtempfehlung) ist untersagt, ebenso die Rückfrage bei den Grundschulen. Dass weder die Realschulen noch die Gymnasien Wunder vollbringen und jedem Kind problemlos den Weg zur Mittleren Reife oder zum Abitur ebnen können, ist eine Binsenweisheit. Aussprechen darf man sie allerdings nicht, noch nicht.

Nur eine Wundertüte bleibt noch: die Gemeinschaftsschule. Dort kann man nicht sitzen bleiben, weil man es nicht braucht. Denn dort schafft jeder einen Abschluss, welchen auch immer.

Die andere Möglichkeit zur Lösung des Problems mögen Kretschmann und Co. offenbar nicht gehen, obwohl sie ihn mal angekündigt haben: die Abschaffung der Versetzungsordnung. Gäbe es sie nicht mehr, könnten die Kinder auch nicht nichtversetzt werden.

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Die SPD und das Versetzen

Nicht versetzt wird in den Schulen des Landes, wer das Klassenziel nicht erreicht hat oder mit anderen Worten: wer den Anforderungen des folgenden Schuljahrs voraussichtlich nicht gewachsen sein wird. Diese prophetische Feststellung liegt in der Verantwortung der Lehrenden, die jetzt gerne Lernbegleiter genannt werden. Ihre Entscheidung treffen sie in der Regel auf der Grundlage von Noten für Klassenarbeiten, schriftlichen Wiederholungsarbeiten und den weiteren schriftlichen und mündlichen Leistungen im zu Ende gehenden Schuljahr. Im Zeugniskonvent wird dieser Verwaltungsakt üblicherweise durch eine Abstimmung juristisch dingfest gemacht.

Bei den Schülern (die Schülerinnen trifft dieses Los seltener) mag diese Entscheidung mit einer gewissen Solidität getroffen werden. Aber wie ist das bei Politikern? In der heißen Diskussion über die Nichtversetzung, euphemistisch gerne „Ehrenrunde“ genannt, geht es drunter und drüber. Die Liberalen sehen durch des neuen Kultusministers Stoch Vision von der nichtversetzungsfreien Schule das Leistungsprinzip in Gefahr – ein Irrtum, wie ich meine –, des Ministers Hilfstruppen dagegen greifen zu einer ganz besonderen Beruhigungspille: „Wir wollen das Schulgesetz nicht ändern!“

Das müssen sie auch nicht. Die Versetzung der Schülerinnen und Schüler ist in den Versetzungsordnungen geregelt, also in Verwaltungsvorschriften. Die kann ein Ministerium ändern oder abschaffen, wie es ihm beliebt. Das Dementi der SPD-Chargen hätte also heißen müssen: „Wir wollen die Versetzungsordnungen nicht ändern!“ Aber das müssen sie, wenn sie des Ministers Wunsch, die „Ehrenrunde“ entbehrlich zu machen, erfüllen wollen.