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Unveränderliches Predigen

Warum sich der evangelische Gottesdienst nicht ändert, das heißt lebendiger wird? Weil das von höchster Seite offenbar nicht gewünscht ist. Während Lehramtsanwärter in den Prüfungen zeigen müssen, dass sie im Unterricht nicht nur über die Köpfe der Schülerinnen und Schüler hinwegreden, sondern sie zum Mitarbeiten und Mitdenken aktivieren können, wird von den Vikarinnen und Vikare erwartet, dass sie die seit Jahrhunderten überkommene Gottesdienstordnung zu zelebrieren in der Lage sind. Und das heißt vor allem, dass sie 20 Minuten am Stück predigen, also sprechen können, aber nicht etwa frei, sondern in der Form des Vorlesens eines schriftlich fixierten Textes. Wenn dieser Text gut ist und wenn das Vorlesen professionell abläuft, kann das sogar gelingen. Aber leider geschieht derlei eher selten.

Offenbar ist man an höherer kirchlicher Stelle der Überzeugung, dass der Mensch der Gegenwart solchen „Vorlesungen“ konzentriert zu folgen vermag. Ich halte das für eine ziemliche Fehleinschätzung. Der „Lehrervortrag“ gilt in der Schule nicht umsonst als eine der schwierigsten Lehrformen.

Es ist bedenklich und traurig zugleich, dass die „Kirche des Worts“, die einst protestantisch und reformatorisch war, an dieser überholten Darbietungsform nichts verändern will. Der Gottesdienst ist doch keine akademische Vortragsveranstaltung, sondern er soll die Besucher „aufbauen“, bewegen, stärken, ermutigen. Sicher, dazu braucht man auch eine Predigt, aber keine Vorlesung. Die Verkündigung soll die Zuhörer geistig und geistlich aktivieren und nicht einlullen. Es geht darum, mit den Gottesdienstbesuchern zu sprechen und nicht über sie hinweg- oder auf sie einzureden.

Liebe Kirchenleitung, lass endlich auch beim Gottesdienst ein paar Erkenntnisse der Erwachsenenbildung zu. Vielleicht kommen dann einige Steuerzahler mehr in die Kirche.

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Unsaubere Holzeisenbahn

Sindelfingen war einst eine wohlhabende Stadt. Da konnte man es sich sogar leisten, vor dem riesigen Rathaus eine Holzeisenbahn für die kleinen Bürgerinnen und Bürger aufzubauen. Sitzt man darin, sieht man weit über sich die Amtsräume des Oberbürgermeisters. Ob er auch gelegentlich den Blick nach unten wirft auf seine Holzeisenbahn?
Das wäre gar nicht so übel. Und einen Blick hineinzutun wäre sogar noch besser.

Ich hätte ihn auch nicht getan, wäre nicht der Enkel so zugbegeistert und drängte uns immer wieder zum Besuch des „Rathauszugs“. Er sieht auch gut aus, wenigstens auf den ersten Blick. Der zweite relativiert das. Um den Zug herum liegt oft Müll und Schmutz. In ihm kann man in etlichen Sprachen Ferkeleien und Attacken lesen. Viele Stellen sehen angekratzt aus. Vom Zahn der Zeit? Nein von den Taschenmessern der Zeitgenossen. Nur mit einer gewissen Überwindung nimmt man auf Geheiß des Kleinen auf den Sitzen Platz und spielt den Reisenden.

Ein Glück: Der nimmt die Schmuddeligkeit offenbar nicht oder noch nicht wahr und spielt den Lokomotivführer mit der den Dreijährigen eigenen Begeisterung.

Ich weiß, die Stadt ist völlig verarmt. Trotzdem wird im Rathaus regelmäßig geputzt. Es wäre schön, wenn sich mal jemand mit dem Besen und ein wenig Farbe an der Holzeisenbahn zu seinen Füßen betätigte.

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Ungeliebtes Wahlrecht

Nun, nach den Wahlen vom 7. Juni 2009, wird über die niedrige Wahlbeteiligung geklagt. An Vorschlägen, das zu ändern, fehlt es nicht: Einführung der Wahlpflicht (mit einem Bußgeld für Nichtwähler), Koppelung der Parteizuschüsse an die Wahlbeteiligung, bessere Politiker oder gar eine bessere Politik – als ob nicht auch schlechte Politik zum Wählen motivieren könnte!

Besonders heuchlerisch wird es, wenn Kolumnisten, die vorher kein gutes Haar an der Politik gelassen haben (ich denke zum Beispiel an Frau Offenbach in SONNTAG AKTUELL am 7.6.09), nun so tun, als gehe ihnen die große Zahl der Nichtwähler zu Herzen. Mir ist nicht bekannt, dass die Presse unserer Republik die Begeisterung für das politische Leben und Wirken in den letzten Jahren besonders gefördert hätte.

Natürlich ist es schade, wenn nur wenige wählen. Doch es ist auch schade, wenn nur wenige Leute in die Kirche oder zum Elternabend in die Schule, ins Theater oder in einen anspruchsvollen Film gehen.

Aber das Gehen oder Nichtgehen, das Wählen oder Nichtwählen, das sind freie Entscheidungen jedes Einzelnen. Vielleicht besinnt sich ja so mancher in vier oder fünf Jahren eines Besseren und geht mal wieder wählen, weil er/sie gemerkt hat, dass das Kreuzchen auf dem Wahlzettel auch eine emotionale Seite hat und sich als Ausdruck von Ärger oder Zustimmung erleben lässt.

Und vielleicht brauchen wir auch noch eine besondere Form der Wahlwerbung: das Werben dafür, dass man zur Wahl geht.