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Das Kultusministerium und die drohende Wand

Dem grün-roten Schulprojekt droht Ungemach. Es müsste auf der Fahrt gegen die Wand von den Wohlmeinenden aufgehalten werden. Denn es zeigt sich, was man schon länger weiß: Wer zu viel auf einmal will, geht im Chaos unter. Das Haus von Frau Warminski-Leitheußer will schulisch so gut wie alles umkrempeln und hat dabei die Übersicht verloren. Doch ist es das „Haus“? Es ist die Führungsspitze; das Personal kann nichts dafür. Es wird kaum in die Prozesse eingebunden. Seine Kompetenzen liegen brach, seine Warnungen werden überhört.

In Stuttgart tut man bildungspolitisch, was laut Bildungsforschung am wenigsten bringt; man baut die Strukturen um. Statt dessen sollte man sich mehr um die Verbesserung des Unterrichts kümmern. Die letzte Ausgabe von „Sonntag aktuell“ (18.11.12) hat eine Baustelle (von vielen) benannt: die Orthografie. Eine Rechtschreiblehre, so ist in dem Artikel „Ist richtig schreiben foll unkul“ zu lesen, finde in der Grundschule kaum statt. Warum nicht?

Sie wird, erstens, als unwichtig empfunden, zweitens falsch betrieben, nämlich unsystematisch, und drittens von Lehrkräften, denen grundlegende Kenntnisse in der Systematik der Rechtschreibung fehlen. Die Folgen dieses didaktischen Fehlers spüren inzwischen alle – die weiterführenden Schulen, die Betriebe, die Hochschulen. Sie regen sich entweder auf oder resignieren.

Der beliebte Einwand: Es sei egal, wie man schreibt, Hauptsache man könne es lesen oder verstehen, was gemeint ist. Das ist ein dummes Argument, denn auch das Lesen und Verstehen gehen verschütt. Und bekanntlich hängen die Strukturen der Orthografie und des Satzbaus eng zusammen.

Liebes KM in S: Tu was!

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Daniel Kehlmann und sein Ruhm

Kehlmann ist en vogue. Sein Roman „Die Vermessung der Welt“ ist gar dreidimensional zu sehen. Der danach geschriebene („Ruhm“) wird vom Schreiber dieses Blogs am 19. November 2012 im Sindelfinger Literaturklub vorgestellt.

Ein paar Sätze aus seinem  Vortrag mögen als Anregung dienen, ihn ganz zu lesen; er steht auf seiner Homepage.

„Wenn ein Autor dem ersten Buch nach einem Bestseller (Die Vermessung der Welt) den Titel Ruhm gibt, darf man vermuten, dass er darin auch sein eigenes Problem gestaltet. Wie soll er mit der plötzlichen Berühmtheit umgehen? Adam Soboczynski erzählt in „Leo Richters Porträt“ diese Szene: Daniel Kehlmann sagte während unserer ersten Begegnung im Kreuzberger Restaurant Grünfisch, daß Ruhm nur dann erträglich sei, wenn er, wie Mißerfolg, mit Gleichmut behandelt werde. Vielleicht sei dies das heimliche Zentrum des neuen Buchs.

Kehlmann ist dem Feuilleton zunächst nicht aufgefallen. Sein erstes Buch, der Roman Beerholms Vorstellung, war in dem kleinen Wiener Verlag Deuticke erschienen. Kehlmann war [1997] 22 Jahre alt und hatte die Geschichte eines Zauberers, dem Täuschung und Wahrheit in eins verschwimmen, geschrieben. Verkauft hat es sich kaum. Die Neue Zürcher Zeitung kritisiert die Sprache: Mit blindem Griff bedient er sich in der Metaphernkiste und greift oft daneben: mal sind seine Bilder schlicht albern, gelegentlich aber regelrecht hanebüchen.

Sechs Jahre später hat er Glück. Das Fernsehen macht ihn bekannt: Das erste Buch, mit dem sich Daniel Kehlmann auf dem Markt etablieren konnte, war Ich und Kaminski, 2003, also zwei Jahre vor der Vermessung der Welt, erschienen. Ich und Kaminski war in der Literatursendung Elke Heidenreichs vom Gast Marcel Reich-Ranicki lebhaft gelobt worden, was sich verkaufsfördernd auswirkte. Man könnte jetzt darüber nachdenken, was gewesen wäre, wenn das ZDF Heidenreichs Sendung schon damals gekippt hätte. Das geschah erst 2008, nach Heidenreichs Fernsehschelte.

Schon Daniel Kehlmanns Großvater väterlicherseits, Eduard Kehlmann, ein getaufter Jude, war Schriftsteller. Er arbeitete als höherer Beamter für das Post- und Telegrafenwesen Wiens und schrieb nebenher zwei erfolglose expressionistische Romane“. Kehlmann hat also eine familiäre Disposition zum Schriftsteller. Aber um was geht es ihm in seinen Büchern? Eine Antwort darauf gibt folgende Äußerung: Er wolle nicht die Syntax brechen, sondern die Wirklichkeit, wie die Erzähler Südamerikas, wie Borges oder García Márquez, die an Kafka anknüpften und die Grenzen zwischen Tages- und Nachtwirklichkeit auflösten. Die Aufhebung der Grenze zwischen den verschiedenen Wirklichkeiten, das also ist Kehlmanns Thema.“

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Die Protestanten und die Arbeit

Dem Thema Arbeit hat die evangelische Kirche im Dekanat Böblingen den diesjährigen Reformationstag gewidmet. Beim traditionellen Festabend am 31. Oktober 2012 ließen sie Prof. Dr. Segbers aus Marburg über den Paulus-Satz „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen“ reden. Dass der Satz heute nicht mehr passt, war schnell geklärt: Arbeit war in der Antike etwas anderes als heute, wo man darunter im Wesentlichen Erwerbsarbeit versteht.

Der Kern des Vortrags bestand in der Geißelung der prekären Arbeitsverhältnisse, der Leiharbeit und der in Teilzeit. An ihrem massenhaften Aufkommen ist, so Segbers, die Politik schuld. Sie habe es zu verantworten, dass viele Menschen von ihrer Arbeit kaum oder nicht in Würde leben können und auf eine nur geringe Rente hoffen dürfen. Schon jetzt müsse der Steuerzahler diese Arbeitsverhältnisse mit Milliardenbeträgen subventionieren. So weit, so schlimm.

Das Problem dieser protestantischen Feierstunde in der Sindelfinger Martinskirche besteht in der Doppelmoral derer, die einen sozialen Missstand geißeln. Haben wir nicht lesen müssen, dass sich auch die beiden großen Kirchen in Deutschland nicht scheuen, ihre Mitarbeiter auszubeuten, ihnen einen guten Lohn vorenthalten oder die soziale Sicherheit verwehren. Ausbeutung und Selbstausbeutung sind auch in der Kirche der Protestanten und auch in Sindelfingen nicht selten. Dass man trotzdem so ungeniert mit dem Finger auf die bösen Anderen zeigt, stimmt nachdenklich.