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Europa

Nach dem Krieg, den Deutschland 1939 entfesselt hat, zogen durch Europa Millionen von Flüchtlingen, die man damals auch „Vertriebene“ nannte. Wenn sie hierzulande ankamen, waren sie wenig willkommen. Sie erweckten Ängste um den eigenen Besitz, hatten eine andere Konfession – für Protestanten waren Katholiken einst der Horror schlechthin und umgekehrt – und sie brachten andere Bräuche mit. Unsereins war kein Flüchtling, aber in meiner Heimatgemeinde gab es „verdächtige Menschen“ in den Lagern am Rand der Kommune. Man mutmaßte, dass sie stahlen. Auch rochen sie schlecht. Der Schüler H. gab seinen Eltern die Mitschuld am Krieg und dessen Folgen. Aber er hatte eine Hoffnung: Europa. Die wurde auch offiziell genährt. Und die europäische Einigung ließ sich auch nicht schlecht an. Über die Wirtschaftsunion kam man sich näher. Es schien sich eine Wertegemeinschaft zu entwickeln. Die europäischen Verträge jedenfalls nährten diese Vision. Daran in der Gegenwart noch zu glauben, fällt zunehmend schwerer. Der Ungar O. spricht von seinem „tausendjährigen christlichen Reich“ und knüppelt alle Fremden nieder. Die Ostländer, die gerne die Hand aufhalten, um Fördergelder einzustreichen, sehen sich außer Stande, auch nur einen einzigen Flüchtigen aufzunehmen. Offenbar wirkt nicht nur der nationalistische Faschismus nach, sondern auch der überwunden geglaubte Kommunismus, der sich einst als Humanismus gerierte und doch nichts anderes war als ein brutales Ausbeutungssystem. Europa hat versagt bei der Prävention der Flüchtlingskrise versagt, es versagt auch jetzt bei ihrer Bewältigung. Eine Hoffnung meiner Jugend zerbröckelt.

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Schuljahresbeginn

Heute, am 14. September 2015, beginnt in Baden-Württemberg das neue Schuljahr. Das könnte Routine sein, wenn da nicht der Zuzug vieler Menschen mit Fluchthintergrund wäre. Derzeit hören wir alltäglich von großen Gruppen, die von hier nach da geschoben werden. Aber irgendwann werden diese Gruppen kleiner und nach der letzten Etappe ihrer Odyssee in irgendeiner deutschen Stadt ankommen und als einzelne Familien in irgendwelchen behelfsmäßigen Behausungen untergebracht werden – und warten. Ihre Kinder aber sind schulpflichtig. Sie kommen in Schulen, die mit den Neuen nicht auf Anhieb klarkommen werden. Es fehlt den Jungen und Mädchen an Sprachkenntnissen, es mangelt ihnen an Kenntnissen der selbstverständlichen hiesigen Routinen. Zum Glück sind Kinder lern- und anpassungsfähig. Ob es ihre Eltern auch sind? Wir können es nur hoffen. Dass es aber ganz von selber alles gut geht, können nur Naive glauben. Es bedarf kluger Konzepte der Integration. Unsere Gesellschaft und unsere Schulen haben jetzt die Chance, jene Fehler zu vermeiden, die man bei anderen Migrationsgruppen gemacht hat. Aber zum Glück sind nicht nur Kinder, sondern auch Sozietäten lernfähig. Es wird Rückschläge geben, auch Konflikte und allerlei Frust. Aber, sorry, den gibt es in der Schule und auch sonst eh jeden Tag. Wer Lehrer ausbildet, sollte sie so professionell ausbilden, dass sie mit Enttäuschungen und Ärgernissen umzugehen verstehen. So bietet das neue Schuljahr doch einiges Neue. Einen Grund zum Trübsinn sehe ich darin nicht.

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Kindestod

Selten war die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis so groß wie derzeit in der Flüchtlingsfrage. Theoretisch stimmen Sätze wie „Wir können nicht alle aufnehmen“, „Die Probleme müssen im Ursprungsland gelöst werden“, „Wenn man die Flüchtlinge nicht abschreckt, kommen immer mehr“, „Wir können unsere Bürger nicht überfordern“. Das lässt dich leicht sagen und es ließe sich auch durchsetzen, wenn es die Bilder nicht gäbe. Man müsste die Diskussion abstrakt führen, etwa im Stile des unseligen „Besinnungsaufsatzes“ oder in der Art der quälend-arroganten Diskussionen in der gymnasialen Oberstufe, dann könnten Sätze wie die oben ihre Wirkung entfalten. Aber es gibt die Bilder, die Einzelschicksale. Man sieht Menschen zwischen Gleisen liegen, in überfüllten Zügen, randvollen Booten, sie steigen über Grenzzäune und sie zeigen ihre Fahrkarten. Wir werden mit Gesichtern konfrontiert, die Angst und Verzweiflung ausdrücken. Wenn man die Augen schließt und auf die Fernsehnachrichten verzichtet, können die Sätze von oben noch ein Weile halten. Aber dann sieht man das tote Kind am Strand und die Flüchtlingstheorie gerät ins Wanken. Ein totes Kind ist kein „Argument“ in einem Aufsatz, sondern eine Realität, die den anderen Satz, die andere Frage stellen lässt: „Hätte man dieses Kind nicht retten können?“ Sätze wie die oben helfen bei der Beantwortung nicht weiter.