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Mährchenstunde

Das Wort in der Überschrift enthält ein h zu viel. Das Märchen und daher auch die Mär schreibt man im 21. Jahrhundert ohne Dehnungs-h. Das war im 18. Jahrhundert noch anders. So findet man etwa bei Wieland noch den Titel „Sommermährchen“. Doch die Zeiten ändern sich. Das sollte auch den Stuttgarter Nachrichten (Kreiszeitung 16.7.14, S. 12) bewusst sein. Dort stehen unter der Überschrift „Die Mähr vom mündigen Patienten“ bedrückende Erkenntnisse über das Kannitverstan in der ärztlichen Praxis.

Nicht nur, dass deren Besucher ihre Rechte nicht kennen, sie haben auch Mühe zu verstehen, was ihnen gesagt wird. Das ist kein Wunder, denn in der psychischen Ausnahmesituation des kränkelnden Menschen steht es mit der Wahrnehmung von Gehörtem nicht gut. Man müsste eigentlich nachfragen, ob man etwas richtig verstanden hat. Man sollte sich eigentlich das Wichtigste aufschreiben. Aber wer traut sich das? Wer nimmt schon einen Zettel mit Fragen zur Behandlung mit? Wer wagt es, den Satz zu äußern: „Habe ich das jetzt richtig verstanden, dass …?“

Eigentlich sollte es keiner Studien bedürfen, um dieses kommunikative Desaster zu erkennen. Schon der gesunde Menschenverstand lässt uns ahnen, dass dieses asymmetrische Verhältnis zwischen dem „Halbgott in Weiß“ und dem armen Würstchen Patient zwangsläufig zum gegenseitigen Missverstehen führt. Man müsste beide Gesprächsteilnehmer schulen. Die Ärzte sollten mehr über Gesprächsführung wissen und die Patienten müssten darin bestärkt werden, sich auf das Arztgespräch vorzubereiten, ihre Fragen mutig vorzubringen und darauf zu pochen, dass sie das Recht haben, die Antwort des Medizinmanns zu kapieren.

 

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Koalitionssprache 2

Deutschland steht vor großen Herausforderungen: Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung, demografischer Wandel und der Veränderungsdruck der Globalisierung verlangen große politische Anstrengungen, um heutigen und künftigen Generationen ein Leben in Wohlstand zu sichern. CDU, CSU und SPD stellen sich diesen Aufgaben. In gemeinsamer Verantwortung wollen wir das Land voranbringen. Wir werden unsere parlamentarische Mehrheit für strukturelle Reformen in Deutschland nutzen, Mut machen zur Anstrengung und das Vertrauen der Menschen in die Zukunftsfähigkeit des Landes stärken.

Auf den syntaktischen Unfall des ersten Satz folgt die politische Willenserklärung der drei Regierungsparteien. Sie stellen sich „diesen Aufgaben“. Gemeint sind die großen politischen „Anstrengungen“ des Satzes davor. Die drei möchten das Land „voranbringen“, und zwar „in gemeinsamer Verantwortung“. Das klingt so, als ob man künftigen Streitigkeiten schon mal vorbeugen wollte. Klar ist der nächste Satz: Nicht bloß Reformen sind angesagt, sondern „strukturelle“, also solche, die das System verändern. Hier spürt man den angekündigten „Politikwechsel“ der Sozialdemokraten.

Die beiden letzten Aussagen wirken dann wie angeklebt: „Mut machen zur Anstrengung“, hier jetzt wohl die der Bürger, nicht wie oben die der Regierung. Zwei Mal das gleiche Wort in einem Absatz, das bedeutet wohl: Die nächsten vier Jahre werden anstrengend. Wieso man dazu „Mut“ braucht, verstehe ich nicht. Bisher dachte ich, zur Anstrengung gehöre die nur die Bereitschaft.

Am Schluss wird gefaselt. Man will „das Vertrauen der Menschen in die Zukunftsfähigkeit des Landes stärken.“ Bisher dachte ich, dass die Zukunft sowieso kommt und es dazu keiner Fähigkeit bedarf. Eigentlich hätte es genügt zu sagen, man wolle das Vertrauen in die Zukunft stärken. Aber an der „vertrauensvollen Bereitschaft zu zukunftsorientiertem Wortgeklingel“ (klingt gut – oder?) fehlt es diesen Koalitionären offenbar nicht.

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Spracherleichterung

Immer mal wieder entdecken die Regierenden die Sprache. Weil viele darüber klagen, das von Ihnen Beschlossene sei unverständlich und vor allem die bildungsferneren Schichten täten sich schwer, es zu verstehen, sind sie nun in sich gegangen und haben die „leichte Sprache“ entdeckt. Nach einigem Grübeln habe ich verstanden, was damit gemeint sein könnte: eine Sprache, die man leichter versteht. Doch wie soll ich das verstehen? Soll man die Sprache verstehen oder nicht vielmehr das, was mit ihr zum Ausdruck gebracht wird? Vermutlich Letzteres. Aber warum spricht man von dann von einer „leichten“ und nicht von einer „klaren“, „verständlichen“ Sprache?

Was gemeint ist, zeigen die Beispiele. Da wird mit ein paar einfachen Sätzen der Bundestag erklärt. Und sogar das Betreuungsgeld, das viele nicht verstehen, bekommt in der Beschreibung in leichter Sprache einen Hauch von Verständlichkeit. Ist also die Erfindung dieser neuen Sprache in Geniestreich, mit dem man das politische Analphabetentum auf einen Schlag überwinden kann?

Die baden-württembergische Sozialministerin legt den Finger auf eine Wunde, für die es noch kein Pflaster gibt. Man könnte auch sagen, sie formuliere eine Selbstverständlichkeit, jene nämlich, dass rechtliche Texte möglichst eindeutig sein müssen. Das werden sie vor allem durch Hauptwörter (Substantive), die in einer eindeutigen Beziehung zueinander stehen.

Ein Beispiel: Die Schulen haben einen „Erziehungs- und Bildungsauftrag“. Auf dessen „Erfüllung“ haben die „Erziehungsberechtigten“ einen „Rechtsanspruch“. In „leichter Sprache“ würde das heißen: Die Lehrer sollen die Kinder erziehen und ihnen etwas beibringen. Tun sie‘s nicht oder nur unzulänglich, können die Eltern vor Gericht ziehen. Das klingt klar, ist es aber nicht. Denn leider sind die Wörter „sollen“, „beibringen“ oder „unzulänglich“ nicht eindeutig.

Man verstehe mich recht: Wir brauchen beides: sprachlich eindeutige rechtliche Vorgaben und deren Erläuterung in einem verständlichen Deutsch.