Grenzgang, so heißt der erste Roman des Stephan Thome, Jahrgang 1972, der 2009 erschienen ist. Die amtliche Literaturkritik lobt das Werk, überwiegend wenigstens, Häckerling auch. Endlich mal ein deutscher Roman des 21. Jahrhunderts, den man mit Vergnügen lesen kann, der nicht in der verruchten Berliner Szene spielt oder uns mit der Schönheit Dresdens langweilt. Womit hat Thome das Lob verdient?
Der Autor kann erzählen. Wie er die Geschichten des gescheiterten Historikers und nunmehr als Gymnasiallehrer agierenden Thomas Weidmann und der geschiedenen, ihren aufmüpfigen Sohn und ihre demente Mutter versorgenden Kerstin Weber allmählich zusammenführt, das ist raffiniert gemacht. Dabei hat sich der Verfasser ein paar Schwierigkeiten eingebaut, die mit dem Ort des Geschehens zusammenhängen, Bergenstadt an der Lahn, hinter dem sich der Geburtsort Thomes, das hessische Biedenkopf, verbirgt. Dort wird alle sieben Jahre ein mehrtägiges Volksfest gefeiert. Mit diesen Festen verknüpft der Autor die Lebensgeschichten seiner Figuren. Das beginnt 1992, als Kerstin 30 ist, geht 1999 mit dem Zerbrechen von Kerstins Ehe und Weidmanns Wissenschaftskarriere weiter, kulminiert 2006 und endet 2013 in einer Art Abgesang. Das Ganze wird aber nicht chronologisch, sondern in bunter Mischung der Grenzgang-Feste erzählt.
Der Autor kann schreiben. Selten hat der Verfasser dieses Blogs geistreichere, geschliffenere Dialoge gelesen, selten konnte er sich mehr an ironischen Wendungen freuen. Die Figuren reflektieren ihre Lebenssituation unaufhörlich. Das wird trefflich mit der sprachlichen Pinzette aufgedröselt, aber nicht so, dass die Figuren dadurch denunziert werden. Sie behalten ihre Würde, auch wenn sie sie selbst aufs Spiel setzen und der Autor mit ihr spielt.
(Blog-Eintrag Nr. 214)