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Corpus Delicti

Was für ein kluges, raffiniertes Buch hat Juli Zeh uns da geschenkt! Sie stellt in „Corpus Delicti“ eine Zukunft vor, an der wir bereits intensiv arbeiten: eine Gesellschaft, in der die Gesundheit über allem steht. Die Menschen werden verpflichtet, sich gesund zu ernähren, Sport zu treiben, auf das Rauchen zu verzichten und ihre „Werte“ ständig kontrollieren zu lassen. Wer sich Abweichungen erlaubt, muss mit Sanktionen rechnen. Die Medien propagieren diese gesunde Welt so intensiv, dass niemand daran zu zweifeln wagt. Die Losung lautet: „Ein Mensch, der nicht nach Gesundheit strebt, wird nicht krank, sondern ist es schon.“

Die Geschichte, die Juli Zeh erzählt, spielt so etwa in der Mitte des 21. Jahrhunderts. Das lässt gelegentliche Rückblicke auf die furchtbare Zeit des 20. Jahrhunderts zu, als die Menschen noch über allerlei Leiden klagten. Natürlich gibt es auch Widerstand gegen den staatlichen Gesundheitsterror, unter anderem die Bewegung „Recht auf Krankheit“. Aber die wird gnadenlos unterdrückt. Die beiden Personen, an denen Zeh den Kontrast zur wunderbaren Welt der Gesundheit durchspielt, sind die Geschwister Moritz und Mia Holl. Der eine schafft es bis zum Märtyrer, der anderen wird diese Rolle verwehrt. Aber es geht ihr trotzdem schlecht: in ihrem Haus, wo man sich angepasst verhält, vor Gericht, wo man sie in jeder Hinsicht „vorführt“, und in den Medien, wo man schonungslos mit ihr abrechnet.

Die Geschichte wird mit feiner Ironie erzählt, in einer klaren, pointierten Sprache. Kein Roman soll „Corpus Delicti“ sein, obwohl ihn die Bibliothek unter Science-Fiction einordnet, sondern „Ein Prozess“. Es ist beides. Erschienen ist die Geschichte dieser leibfreundlichen und lebensfeindlichen Gesellschaft 2009 im Verlag Schöffling & Co.

(Blog-Eintrag Nr. 243)

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Deutsch schafft sich ab

Der Minister (Diener) Ramsauer meint das. Er geht daher gegen Fremdwörter, vor allem Anglizismen (Wörter mit englischem Hintergrund), in „seinem Haus“ vor, dem „Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung“, also nicht für Sprachentwicklung. Ohne Druck, wie es heißt, oder nur mit dem sanften Druck der Empfehlung werde das Ziel umgesetzt. Weit ist der Herr Ramsauer damit allerdings noch nicht gekommen, wenn man einen Blick auf die Homepage (künftig „Heimseite“?) seines Hauses wirft.

Dort liest man allein auf dem „Deckblatt“ die folgenden Wörter: Energie, Klima, Konzept, Strategien, Effizienz, reduzieren, Aktuelles, Modell, Regionen, Elektromobilität, situationsbezogen, Interview, Pressefotos, Mediathek, Ordnung, Rubrik, Zentren, Publikationen, E-Mail, Zukunftstechnologien, Organigramm, Impressum.

Darunter sind – zugegeben – wenige Vokabeln (Wörter) mit einem englischen Hintergrund. Es dominieren (überwiegen) Ausdrücke, die auf das alte Griechisch oder Latein zurückgehen. Müssen wir daher annehmen, dass im Hause Ramsauer zwar alte Fremdwörter toleriert (geduldet) werden, neuere aber, solche aus Amerika zum Beispiel, nicht. Liegt hier ein Fall von Diskriminierung vor? Der Europäische Gerichtshof möge das doch bitte überprüfen.

Häckerling wird sich in die Phalanx (Schlachtreihe) der Kämpfer gegen englische Wörter einreihen, aber nicht vorne, bei der Avantgarde (in der vordersten Reihe), sondern allenfalls hinten, bei  der Arrière-Garde (der Nachhut). Seine Vision (Ziel) ist eine noch umfassendere: Deutschland soll ein klares, verständliches Deutsch reden und schreiben: im TV (Fernsehen), im Bundestag und in den Landtagen, in den Zeitungen, in seinen Gesetzen und überhaupt. Das geht, wenn man es will – oder kann. Dann jedenfalls wird die Abschaffung der deutschen Sprache noch eine Weile währen.

(Blog-Eintrag Nr. 242)

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Stallstroh

Wenn es wirklich ein Stall war, wo aus dem Paar Maria und Josef eine heilige Familie wurde, dann gab es darin nicht nur Ochs und Esel sowie eine Krippe, sondern auch Stroh, leeres Stroh natürlich, denn die Tiere werden alle Körnlein bereits mit Behagen verzehrt haben. Und wenn wir bei dem anderen Wort für leeres Stroh bleiben, der Vokabel „Häckerling“, dann liegt es nahe, dass sich auch der gleichnamige Blog und sein Schreiber zum Thema Weihnachten äußern.

Man kann auf dieses Fest von oben schauen, sozusagen aus der himmlischen Perspektive, und das Stall-Ereignis mit dem göttlichen Ratschluss zusammenbringen, der Erde und ihren Menschen herrlichen Frieden in Aussicht zu stellen. So werden seine Engel auch zitiert. Dann muss natürlich auf der Weihnachtspost genau dieses Wort, Frieden, irgendwie unterbringen. Meine Bank hat sich für das Adjektiv „friedvoll“ entschieden, das gewöhnliche „friedlich“ war ihr offenbar zu mager.

Wenn man aus der Waagrechten auf die dürftige Herberge der Jesus-Eltern blickt und das als Zeichen der Solidarität mit den Armen dieser Welt nehmen möchte, dann darf der Appell zum Spenden und Schenken nicht fehlen. Der Dezember ist nicht nur der Monat der größten Umsätze des Einzelhandels, sondern auch der Spendenorganisationen. Alle wollen sie Gutes tun und fordern uns andere dazu auf, ihnen dafür Geld zu geben.

Wir können das Geschehen auch von unten betrachten. Das Kind liegt auf Stroh, wird erzählt. Das ist nicht angenehm, denn Stroh pikst auf der bloßen Haut. Das arme Kind. Aus dieser Perspektive kommt man der Banalität des Alltags sehr nahe. Die großen Worte vom Frieden, einverstanden, sie müssen wohl sein und auch die Appelle zur Großzügigkeit: Sie mögen nicht nur denen nützen, die daran verdienen. Aber Häckerling fühlt sich ab und zu gedrängt, an den lästigen Alltag und sein Kratzen und Jucken zu erinnern.

Den treuen Kommentatorinnen und Kommentatoren, den kritischen und zustimmenden Leserinnen und Lesern in der Ferne und in der Nähe, ihnen allen sei ein herzlicher Gruß entboten.

(Blog-Eintrag Nr. 241)