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Kernkraft und Prophetie

Einem mit normaler Wählerintelligenz Ausgestatteten wie unsereins bereiten die politischen Entscheidungen dieser Tage einiges Kopfzerbrechen. Mit ehrfürchtigem Staunen höre ich die Stimmen der Propheten. Was die alles wissen! Zu bewundern sind ihre Überzeugungskraft und die Sicherheit ihres Urteils. Manche wissen, dass wir die Kernkraftwerke sofort ausschalten könnten, weil es genug Strom gebe. Manche sehen uns erst 2017 in der Lage, auf die Kernenergie zu verzichten, manche 2022. In der Schweiz ist es nochmals anders; dort will man komischerweise erst bis zum Jahr 2034 aussteigen. Andere Länder, die Franzosen zum Beispiel, geben kund: „Die Deutschen, die spinnen.“ Sie wollen nicht nur nicht aussteigen, sondern noch mehr einsteigen und weitere Kernkraftwerke bauen.

Neben den Propheten gibt es ein paar Schwarzseher – im wörtlichen Sinn, denn die befürchten einen Blackout, eine Art Finsternis wegen des Zusammenbruchs der Stromversorgung an kalten Wintertagen.

Da steh ich nun, ich armer Tor und weiß nicht, welchen Propheten ich glauben soll: den optimistischen, die für ein „Abschalten“ lieber heute als morgen plädieren, oder den pessimistischen, die den Niedergang der Republik wegen fehlender preisgünstiger Energie voraussehen, den bedächtigen Schweizern, die sich vorsichtig 20 Jahre des Umstiegs gewähren, oder den lebenslustigen Franzosen, die uns östlich des Rheins Lebenden für verrückt halten?

Welcher Prophet weiß es am besten? Es ist wie bei den Propheten des alten Israel. Wer ein richtiger war und kein falscher, das hat sich erst nach vielen Jahren herausgestellt. Warten wir’s also ab. Es ist egal, wem man glaubt, weil man sowieso erst post festum wissen wird, wer recht hatte. Falls der Strom tatsächlich knapp werden sollte, was aber nach den Aussagen der Optimisten gar nicht sein kann, haben wir immer noch unsere Freunde auf der anderen Seite des Rheinufers. Die verkaufen uns ihren Strom gerne.

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Gymnasiallehrer und schulische Praxis

Jetzt lassen sie die Katze ein wenig aus dem Sack blicken, die Neuen in der grün-roten Regierung. Die Wissenschaftsministerin, sie trägt den Namen Theresia Bauer und ist politisch bei den Grünen zu Hause, wird in der Stuttgarter Zeitung (vom 21.5.11) mit dem Satz zitiert: „Die Studierenden für das gymnasiale Lehramt schnuppern mir zu wenig in den Schulalltag hinein.“ Daher sollen sie künftig auf den Pädagogischen Hochschulen studieren. Diesen Zusammenhang kann ich nicht nachvollziehen.

Ist der Minsterin entgangen, dass alle Lehramtsstudierende, auch die fürs Gymnasium, zu einem Praktikum und einem (13-wöchigen) Praxissemester verpflichtet sind. Dabei wird nicht nur geschnuppert. Da wird hospitiert und reichlich das Unterrichten geprobt. Bei diesem Tun werden die jungen Leute beobachtet und am Schluss bewertet. Sie wissen dann sehr wohl, was in der Schule auf sie zukommt.

Ich will Frau Bauer nicht widersprechen, wenn sie fordert, dass die individuelle Förderung bei der Ausbildung zum Lehrerberuf stärker gewichtet werden muss. Aber können das die Pädagogischen Hochschulen wirklich besser? Ich bezweifle das. Soll sie doch die Universitäten dazu verdonnern, ihr Angebote in Didaktik zu verbessern. Wenn sie dabei (noch mehr als bisher schon) auf Dozenten der PH oder Fachleiter der Lehrerseminare zurückgreifen, ist dagegen nichts einzuwenden. Aber eines sollte doch inzwischen allen klar sein: Nur fachlich fundiert (also an Universitäten) ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer sind in der Lage, einen fachlich guten Unterricht am Gymnasium zu erteilen.

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63 Jahre und kein bisschen Ruhe

Manchmal wird mir schlagartig klar, warum wir uns Tageszeitungen halten. Heute zum Beispiel, am 18.5.11, beschenkt uns die Stuttgarter Zeitung auf Seite 6 unter einem großen Foto mit einem vierspaltigen rührenden Artikel über eine Pressekonferenz des neuen Ministerpräsidenten. Schon die Schlagzeile reißt den Leser mit: „Kretschmann beginnt mit dem Regieren“. Das zu hören beruhigt. Er könnte ja auch Ferien machen.

Unter der großen Überschrift werden weitere wichtige Nachrichten angekündigt, nämlich dass Herr K. vom Atomausstieg und von Stuttgart 21 „in Atem gehalten“ werde. Gut zu wissen, dass ihm diese Probleme Luft verschaffen.

Den Textteil leitet ein Satz ein, der an unser Empathievermögen appelliert: „Das Amt des Ministerpräsidenten kennt keinen Stillstand.“ Der arme Herr Kretschmann! Dann heißt es, er sei „zu einem ganz normalen Arbeitstag angetreten, an dem er gleichwohl sein 63. Lebensjahr vollendete.“ So schön und einfühlsam wurde noch selten über einen Politiker geschrieben. Vor allem das Wörtchen „gleichwohl“ verbreitet eine liebliche Atmosphäre. Was für ein wunderbarer, pflichtbewusster  Mensch ist das, der arbeitet, obwohl er Geburtstag feiern könnte! Glücklich das Land, das solche Regierenden hat!

Glücklich auch, wer eine solche Zeitung lesen darf. Steht doch in besagtem Artikel auch noch geschrieben, dass der Ministerpräsident mit einem „prallen Arbeitsprogramm“ belastet sei, dass sich seine Regierung „erst noch sortieren“ müsse und dass er trotzdem in der Pressekonferenz „was zu sagen“ gehabt habe. Und was? Er plädiere für den „schnellstmöglichen Ausstieg“ aus der Kernenergie und wolle bei S 21 erst den Stresstest abwarten. Ohne Zweifel, Herr K. hat was zu sagen. Und meine Zeitung ist davon begeistert.