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Obenbleiber

Es lassen sich gewiss Gründe formulieren für den Nichtbau von Stuttgart 21. Es hat was Beruhigendes, wenn alles beim Alten bleibt, wenn die Züge am Kopf des Bahnhofs halten, der Zugführer sein Vesper nimmt und den Bahnsteig entlang trottet zum Schwanz seines Zuges, der nun zum Kopf wird. Man kann auch die frische Luft der Bahnsteige schätzen, vor allem im Winter, wenn man auf verspätete Züge wartet. Es gibt sicher noch manches andere Triftige vorzubringen gegen einen unterirdischen Bahnhof. Die Vertreter dieser Stuttgarter Bewegung haben nun unerwartete Hilfe von höchster Stelle bekommen. Rechtzeitig vor dem Kirchentag ist ihnen eingefallen, dass ja auch der Ahnherr der Christen, Jesus aus Nazareth, sich gegen Stuttgart 21 ausgesprochen hätte („Jesus würde oben bleiben“). Entsprechende Aufkleber und Flugblätter sind vorbereitet, damit die Protestanten aus ganz Deutschland endlich wissen, wogegen sie protestieren müssen – gegen einen Bahnhof, den Jesus mit Grausen betrachtet hätte. In der Tat, im alten Palästina gab es, im Gegensatz zu heute, noch keine unterirdischen Gänge. Jesus musste mit seinen Jüngern zu Fuß nach Kapernaum und an den See Genezareth. Sogar vor der Bergpredigt war ein Fußmarsch angesagt. Unterirdisch fahrende Züge, schon der Gedanke daran ist für einen wackeren S-21-Gegner und frommen Christen eine Gotteslästerung. Gut lutherisch steht er und bleibt er oben, er kann nicht anders.

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