Der Kampf um die beiden Stimmen ist hart. Allerdings ist die mediale Perspektive ziemlich schief. Optisch im Vordergrund stehen die Parteien und ihre Kandidaten. Sie beharken sich vor laufender Kamera und wollen so auf sich aufmerksam machen. Die Hauptpersonen dieses Ereignisses, die Wähler, sitzen auf der Tribüne und beklatschen oder bebuhen den Auftritt der Matadore. Sieht so ein Souverän aus, einer auf den es ankommt? Das kann man so deuten. Dann wäre die Tribüne eine Art Königsloge. Merkwürdig ist nur, dass die Demoskopen ständig darauf hinweisen, dass über ein Drittel der Wähler noch unentschlossen seien. Haben die Schaukämpfe sie nicht überzeugt? Oder halten sie sich bedeckt, weil es die Demoskopen nichts angeht, wem ich meine Stimmen gebe. Nimmt die Briefwahl vielleicht deshalb zu, weil man am Ausgang des Wahllokals nicht nach seiner Wahlentscheidung befragt werden will? Ich bin alt genug, mich an Zeiten zu erinnern, in denen das Ergebnis der Bundestagswahl nicht schon vor dem Wahltag bekannt war. Damals hing man am Radio und registrierte die Einzelergebnisse. Und am nächsten Morgen konnte man die Zusammensetzung des neuen Parlaments schwarz auf weiß in der Zeitung lesen. Ich finde, die Wahlen verkommen zu Medienevents. Ich fühle mich nicht mehr als Teil des Wahlvolks oder gar als Souverän, sondern als Teil eines Algorithmus, als bloße Zahl, als Objekt der Parteien, nicht als Subjekt eines demokratischen Prozesses.
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