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Geschichte Kirche

Naher Osten

Warum sagen wir so? Nicht nur, weil „Kleinasien“ (dürfen wir das noch sagen?) näher liegt als Süd-Ost-Asien, sondern weil dort die religiösen Quellen flossen, die unser Wertesystem (derzeit noch) speisen. Über die jüdische Religion wurden uns die „Zehn Gebote“ vermittelt und der Gedanke eines Friedensreiches – mit Zion im Zentrum. Auch wenn im „Alten“ Testament, das eigentlich „Erstes“ heißen sollte, denn „alt“ suggeriert „veraltet“, auch wenn dort von viele Kriegen erzählt, so bricht doch immer wieder die Sehnsucht nach Frieden durch. Schwerter sollen zu Pflugscharen werden, heißt es beim Propheten Micha. Der Satz hat lange Zeit die Friedensbewegung begleitet. Auch das Christentum stammt aus dem von uns aus gesehen „Nahen Osten“. Es versteht sich einerseits als „Vollendung“ der altbiblischen Hoffnungen, andererseits als Kontrast zum Judentum. Dabei greift man auf eine historisch fragwürdige Konstruktion zurück: Die Juden hätten den „Heiland“ getötet. Kein Zweifel, Jesus hat kontroverse Diskussionen im frommen israelitischen Milieu ausgelöst, aber getötet haben ihn – mit Verlaub – die Römer. Nur die kreuzigten, und zwar politisch unliebsame Gestalten. Im Glaubensbekenntnis sagt man es offen: „gelitten unter Pontius Pilatus“, aber der christliche Antisemitismus behauptet seit dem Mittelalter die Alleinschuld der Juden und begründet damit ihre Auslöschung als religiöse Gruppe. Die unselige neutestamentliche Formulierung, dass der Autor, den man Matthäus nennt, dort „die Juden“ schreien lässt „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder“, hat ein Übriges zur Ausbreitung des Antisemitismus beigetragen. Dass die Muslime, die auch in dem uns näher liegenden Osten ihren Ursprung haben, weder der jüdischen noch der christlichen besondere Zuneigung entgegenbrachten und -bringen, lässt sich schon daran ablesen, dass sie den ganzen Mittelmeerraum militärisch vereinnahmten und religiös dominierten. Wie nahe der „Nahe Osten“ uns liegt, wird derzeit auch dem Letzten klar.

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Gesellschaft Kirche

Tiefer Abgrund

Was in den Tiefen der Vergangenheit des bischöflichen Ordinariats in Freiburg verborgen ist und nun allmählich ans Licht kommt, stimmt traurig und macht zornig. Nicht nur, dass viele Kinder, vor allem Knaben, unter Priestern und Ordensleuten furchtbar zu leiden hatten, es war auch gang und gäbe, die Taten zu vertuschen und die Übeltäter der Rechtsverfolgung zu entziehen. Warum das? Weil das „Wohl der Kirche“ bzw. ihr „Image“ wichtiger war (oder ist?) als die Bestrafung der Täter und die Wiedergutmachung an die Opfer. Der Gedanke, dass Erzbischöfe das Recht gebeugt haben, macht gruseln. Dass sie jemals zur Rechenschaft gezogen werden, ist unwahrscheinlich. Ihre Kirche schützt sie auf Teufel komm raus. Jetzt rächt sich, dass man den Religionsgemeinschaften ein eigenes Disziplinarrecht zugebilligt hat. Sie können sich der staatlichen Gerichtsbarkeit entziehen – ein Unrechtssystem im Rechtsstaat. Das ist nicht nur ein Skandal, der auch unsere Demokratie beschädigt, es ist auch der Niedergang einer Institution, deren Aufgabe es einst war, über unser Wertesystem zu wachen, der Politik und ihren Akteuren auf die Finger zu sehen und der Bevölkerung den Weg durch die Krise unserer Zeit zu weisen. Nun hat sich die Sache umgekehrt: Man muss der Kirche, den Kirchen auf die Finger sehen.

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Friedliche Protestanten

Unter den evangelischen Pfarrern kreist eine Unterschriftenliste. Wer unterschreibt, bekennt sich gegen die Lieferung von Waffen an die Ukraine. Das sei mit dem Evangelium nicht vereinbar. Jesus habe die Gewaltlosigkeit propagiert. Selig seien die Friedfertigen, wahre Christen also Pazifisten. Solches Denken und Glauben ist ehrenhaft. Wer, wenn ihm jemand auf die eine Backe schlägt, die andere hinhält, kann beim Schläger möglicherweise einen Prozess des Nachdenkens auslösen. Auf die Ukraine übertragen würde hieße das: Das Land soll sich ohne eigene Gewalt der russischen Gewalt beugen, in der Hoffnung, dass Putin, beeindruckt von dieser friedlichen Geste, seine Eroberungsgelüste aufgibt. Dieser Gedanke hat etwas Betörendes. Die Gewalt gibt sich der Gewaltlosigkeit geschlagen. Wenn man dieses Experiment machte und sich die Ukrainer so verhielten, wäre das Risiko allerdings groß, dass sich der russische Präsident ob solch eines leichten Sieges die Hände reiben und stracks sein nächstes Ziel, das Baltikum, anvisieren würde. Unsere ehrenwerten Pastorinnen und Pastoren geben auf diese Frage keine Antwort. Sie blenden auch aus, dass in der neutestamentlichen Ethik das Eintreten für die Schwächeren gefordert wird. Wenn man sich fromm heraushält, wenn der Starke den Schwachen unterdrückt, macht man sich mitschuldig. Hätte David gegen Goliath keine Schleuder einsetzen dürfen? Sollen wir uns als Christen künftig nicht mehr wehren? Gewiss, Waffenlieferungen bedeuten die Verlängerung des Krieges. Aber seine Verkürzung durch die Niederlage des Angegriffenen zu fordern, mutet merkwürdig an. Es wäre an der Zeit, dass in der evangelischen Kirche über dieses Dilemma offen diskutiert würde. Dass man Unterschriftenlisten kreisen lässt, ersetzt den Dialog nicht.