Sie tun sich keinen Zwang an, aber sie üben Zwang aus, die neuen Autokraten, die man auch Diktatoren nennen könnte. Sie herrschen unbeeindruckt von Gesetzen und Parlamenten, von Presse und Medien. Unter Letzteren gibt es welche, die ihnen zu willen sind, die anderen werden in ihrer Arbeit behindert oder durch Verbote mundtot gemacht. Die Parlamente stimmen einfach zu (in China und Russland) oder sind stimmlos geworden, in Ehrfurcht erstarrt vor der Macht des Mächtigen (in den USA). Der Möchtegerndiktator in der Türkei orientiert sich am russischen Vorbild: Oppositionelle kommen ins Gefängnis oder ins Straflager. Sollte jemand demonstrieren wollen, verbietet man die Demonstrationen, dann kann man jene, die daran teilnehmen, wegen Verstößen gegen das „Recht“ verhaften. Wenn man das Rechtssystem aushebeln will, überschüttet man es mit so vielen Dekreten, dass die Judikative nicht mehr nachkommt mit der Bearbeitung etwaiger Klagen. Das ist das Modell des amerikanischen Präsidenten. Der von Russland hat es einfacher, der von China sowieso. Und der in der Türkei wird es bald gelernt haben. Sie sitzen auf ihren hohen Rössern und scheren sich einen Dreck um das Volk. Man kann über Deutschland viel schimpfen, aber diese Zustände haben wir (noch) nicht). Doch vielleicht sehnen sich auch manche hier danach, jene, die „starke Männer“ toll finden.
Kategorie: Gesellschaft
Unrentables Pflaster
Die Meldung hat es in sich: Zwei von fünf Firmen in Deutschland wollen ihre Produktion ins Ausland verlagern, weil sie hier zu teuer ist. Dass dies jede Menge Arbeitsplätze kosten dürfte, wurde nicht gesagt, aber man kann es sich denken. Offenbar ist seitens der Unternehmerschaft die Hoffnung gering, dass die neue Bundesregierung an den für sie ungünstigen Bedingungen etwas ändern wird. Dabei haben wir im Wahlkampf viele Versprechungen gehört: Abbau der Bürokratie, günstigere Energiepreise für die Betriebe, Steuererleichterungen. Doch die bisherigen Sondierungsgespräche lassen nur eines vermuten: Es wird viel Geld ausgegeben werden. Daraus könnte man Hoffnung schöpfen, wenn das Geldausgeben begleitet würde von einer gründlichen Reform der deutschen Verhältnisse. Doch darüber sagen die schwarz-roten Koalitionäre fast nichts. Dass sie den Preis der Arbeit senken wollen, sagen sie auch nicht. Wie sollte das auch gelingen? Den Gewerkschaften, Verdi zum Beispiel und dem Deutschen Beamtenbund, will sich keiner in den Weg stellen. Dahinter stehen Wähler, allerdings zunehmend solche der AfD. Da der Wähler immer recht hat, wird es niemand wagen, ihm ein kritisches Wort zu sagen. So wird die arbeitende Bevölkerung weiter deutlich höhere Löhne und Gehälter erzwingen. Das ist das Gegenteil dessen, was geeignet wäre, die Betriebe in Deutschland zu halten. Nebenbei: Auch den Überreichen im Land will keiner etwas wegnehmen. So baut sich ein Paradoxon auf: Die Kosten für die Arbeit werden teurer, aber die Zahl derer, die sich hoher Löhne erfreuen, wird sinken, weil die Arbeitsplätze verschwinden. Einst nannte man das einen Pyrrhussieg. Und die Supereichen? Sie werden ihre Vermögen an sicheren Plätzen parken. Armes Deutschland.
Diese Überschrift stammt von Bernd Ulrich. Sie stand in der letzten Ausgabe der ZEIT und besagt zweierlei: Die deutsche Gesellschaft ist am Konsum orientiert. Es soll alles immer zur Verfügung stehen und das auch noch zu einem günstigen Preis. Wird etwas teurer, weil der Weltmarkt es so will oder weil – wie das BSW im Wahlkampf plakatierte – die Kapitalisten uns ausbeuten, dann regt sich Widerstand. Dann hat die Politik wieder einmal versagt, die Ampel zum Beispiel. Dummerweise gibt es die nicht mehr. Wer ist künftig an allem schuld? Das Partizip „verwöhnt“ ist komplexer. Beim Konsumieren geht es um gutes Essen und Trinken, um „bezahlbare Wohnungen“, um ein Ende der „maroden Infrastruktur“ durch geeignete Maßnahmen. Es geht um das Haben. Der Zustand der Verwöhntheit ist ein Lebensgefühl. Es hat sich durch Gewöhnung eingestellt. Was man gestern hatte, muss man auch heute haben. Man will umsorgt sein, abgeschirmt von Anstrengungen und Anforderungen, es gut haben, den Strapazen der Welt nicht ausgesetzt. Der Verwöhnte kann auf nichts verzichten, weil er meint, es stehe ihm zu. Er schimpft, wenn man etwas von ihm verlangt, was ihn Geld oder Zeit kostet. Und wenn es ihm zu bunt wird, wählt er jene Parteien, die ihm alles versprechen und nichts abverlangen. Die Drahtzieher der neuen Klein-GroKo haben das verstanden. Sie brauchen viel Geld, um den verwöhnten Bürger davon abzuhalten, radikale Parteien zu wählen. Denn der stellt die Demokratie in Frage, wenn sie ihm seine angenehmen Lebensumstände wegnehmen will, wenn sie ihm etwas zumutet, was er mit seinem Wohlbefinden nicht in Einklang bringen kann. Oder er streikt für mehr Geld und mehr Wohlbefinden (mindestens 350 € mehr, mehr Urlaub). Die Gewerkschaften freut es. Sie blühen auf und kämpfen gerne für die Verstetigung der Konsumgesellschaft und für mehr Wohlleben. Könnte es sein, dass wir uns dabei überheben?